nd-aktuell.de / 17.08.2018 / Kultur / Seite 12

Jüdische Identität in Berlin

Da ist die alte Dame, die den Naziterror in einem dunklen Bunker überlebt hat und in deren Haus heute immer Licht brennt. Oder das Ehepaar, das mehrmals in der Woche das Denkmal am Bahnhof Friedrichstraße putzt, das an die Deportation von jüdischen Kindern in die Konzentrationslager der Nazis ebenso erinnert wie an die rettenden Kindertransporte nach England. Und da sind die Jugendlichen aus Frankreich, die ihre Gefühle beim Gang durch das Holocaust-Mahnmal beschreiben.

In ihrer Dokumentation »Lebenszeichen - Jüdischsein in Berlin« begibt sich die kanadisch-deutsche Filmemacherin Alexa Karolinski in der deutschen Hauptstadt auf die Spuren von jüdischem Leben zwischen Erinnerung und Aufbruch. Der essayistische Film ist der zweite Teil von Karolinskis geplanter Trilogie über jüdische Identität und Leben in Deutschland. Im Jahr 2012 hatte die Regisseurin bereits »Oma & Bella« in die Kinos gebracht - das warmherzige und berührende Doppelporträt ihrer Großmutter und deren bester Freundin.

»Lebenszeichen« ist eine stellenweise fast poetische, vor allem aber assoziative Spurensuche. Die langen, ruhigen Kameraeinstellungen und die rein beobachtenden Szenen ohne Dialoge ermöglichen es dem Zuschauer, die Menschen vor der Kamera in Ruhe kennenzulernen und sich auch über seine eigenen Empfindungen klar zu werden. Wer die von Karolinski Befragten sind, das erschließt sich nur aus dem Kontext, denn eingeblendete Namen und Erklärungen gibt es nicht.

»Was bedeutet es, in Berlin jüdisch zu sein? Haben wir als Juden eigentlich Migrationshintergrund?«, fragt die 1984 in Berlin geborene Regisseurin ihren jüngeren Bruder David. Ständig werde er gefragt, woher er eigentlich ursprünglich komme, erzählt der junge Mann mit dem schwarzen lockigen Haar. Soll er sagen: Meine Mutter ist Kanadierin, mein Vater wurde in Berlin geboren, die vier Großeltern kommen aus Polen? Oder sagt er einfach ganz schlicht: Ich bin jüdisch?

»Es gab sehr viel Unausgesprochenes«, erinnert sich eine im Garten der Liebermann-Villa am Wannsee malende ältere Berlinerin an die Vergangenheit in Deutschland. Das habe ihre Generation ganz entscheidend geprägt. Karolinski begleitet eine Schülergruppe in die Gedenkstätte Sachsenhausen. Am Holocaust-Mahnmal begegnet sie zwei Geschwistern aus Marseille in Frankreich. »Es ist so etwas wie ein Friedhof, wo es Geister gibt«, sagt das Mädchen Mozica. »Die Geister der Toten.« Ohne die Vergangenheit gibt es keine Zukunft - das machen auch die Gespräche der Regisseurin mit ihrer Mutter, mit Historikern, mit Freunden, Bekannten und Zufallsbegegnungen unmissverständlich klar. epd/nd