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Im Zweifel von oben

Wie sich die radikale Klimaschutzbewegung heute selbst im Wege steht – eine Antwort auf Tadzio Müller und Hannes Lindenberg

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 9 Min.

Wer kritisiert, muss mit Kritik leben, keine Frage. Er darf sich aber bessere Kritik wünschen. Und wird er, wie der Verfasser seitens Tadzio Müller und Hannes Lindenberg, mit Schmackes dazu aufgefordert, muss er auch zeitnah auf solche antworten.

Bitteschön: Müller und Lindenberg, die eine Antwort verfasst haben wollen auf »Herrn Schäfers« Überlegungen zur »klassenpolitischen Geste« der radikalen Klimaschutzbewegung, verzerren den Gegenstand ihrer Kritik cum ira et studio zu einem leicht zu prügelnden Popanz. An keiner Stelle des Textes »Identitätsbasteleien« steht etwa, dass sein Autor die »Bewahrung deutscher Industriearbeitsplätze« für ein »mindestens genauso dringendes Problem« halte wie die »Bewahrung des Weltklimas«. Der Text behauptet nicht, dass der Klimawandel nicht so schlimm oder dringend sei. Und er legt schon gar nicht nahe, ausgerechnet die den rechten Flügel der Gewerkschaftsbewegung markierende IG BCE könne oder wolle die Welt retten. Mit Ruhepuls gelesen, befasst er sich mit zeitgenössischen Prozessen von Klassenkonstruktion und deutet sich daraus ergebende Fragen strategischen Handelns und gesellschaftlicher Hegemonie an. Auch wenn das zugespitzte Benennen von Sackgassen sowie das Fehlen szenegängigen Bekenntnisvokabulars offenbar irritierend wirkten, handelt es sich nicht um verkappten Negationismus, sondern letztlich um konstruktive Kritik.

Um nun angemessene Gegenrede zu leisten, muss angesichts dieser Missverständnisse der inkriminierte Artikel zunächst in Grundzügen rekonstruiert werden. Im Kern versuchte er, eine Frage zu beantworten, die sich – unter anderem von Müller und Lindenberg selbst in der Zeitschrift »Luxemburg« kolportiert – internationale Aktivist*innen des Lausitzer Klimacamps von 2016»verwundert« stellten: »Why do the locals hate us«?

Diese Aversion der »Locals«, so das Argument, lässt sich nicht ökonomistisch darauf reduzieren, dass die Forderung der Camper*innen auf den Verlust zehntausender Arbeitsplätze und – wie die Geschichte des »Strukturwandels« zeigt – die langfristige Verarmung eines Landstrichs und einen dauerhaften Abstieg vieler Familien hinausläuft. Nicht minder als auf dieser »Basis« fußt sie auf der Wahrnehmung einer auch umgekehrten Anfeindung. Auch wenn diese den Protagonist*innen nicht bewusst sein mag – symbolische Gewalt operiert ja immer unterhalb des Explizierten – schließt die heutige radikale Klimaschutzbewegung Nicht-Abiturinhaber*innen in ihrem kulturellen Gestus aktiv aus: Ein Habitus, in dem sich klassenmäßige Überordnung und »überlegene« politische Einsicht unwillkürlich amalgamieren, lässt sich offenbar – wie in einem zum Beleg dessen zitierten Text von Thalestris A. Zetkin in »a&k« – in extremo zu einem Othering jener »Locals« versprachlichen, das diesen entgegenzuschleudern erlaubt: Hört mal zu, es gibt Leute auf der Welt, die wären dankbar für Hartz IV!

Lesen Sie hier den Beitrag: Hannes Lindenberg, Tadzio Müller - »Drängendste Gerechtigkeitsfrage«

Solcher Zynismus, argumentierte der Verfasser, verweise auf ein allgemeineres Problem heutiger »radikaler« Gesellschaftskritik. Er versuchte, dieses Problem anhand der hochexklusiven Sprache des sicherlich gut gemeinten Verhaltenskodex› eines Klimacamps im Rheinland darzulegen: Der »Intersektionalismus« gerinnt zusehends zu einem Jargon, der seinem Ausgangspunkt Hohn spricht.

Mithilfe des von Kimberlé Crenshaw geprägten Sprachbilds der »intersection« – der Straßenkreuzung – lässt sich erfassen, wie Einzelne nach Geschlecht, Ethnizität und Klasse in konkreten Situationen hierarchisch gruppiert werden. Der »Verkehr« auf dieser Kreuzung des Lebens ist dabei nicht konstant. Wovon man jeweils »angefahren« wird, hängt von den Zeiten, Richtungen und Umständen ab, unter denen die Kreuzung betreten wird. Jene drei Strukturkategorien lassen sich also weder aufeinander reduzieren, noch sind sie untereinander unbeweglich zu hierarchisieren.

Eine solche Erstarrung des gerade in seiner Dynamik und Situationssensibilität so instruktiven »Kreuzungsmodells« greift aber in der akademischen wie in der Praxis politisierter (Jugend-)Bewegungen um sich. Vor allem wird dabei »Klasse« als eigenständige Kategorie von Unterordnung (also nicht als eine Ebene, die sich auf Geschlecht oder Ethnizität quasi aufaddieren ließe) systematisch vergessen. So kann man in den (inhaltlich weiterführenden und normativ richtigen, um nicht abermals falsch verstanden zu werden) Fächern »Gender-« und »Postcolonial« oder »Whiteness Studies« einen Hochschulabschluss erwerben – nicht aber in »Class Studies«, die selbst als Schlagwort kaum existieren.

In seiner habituellen Blindheit für einen (bis zwei – zumindest im Kontext der rheinischen Kohle ist Ethnizität ja häufig auch als Klasse artikuliert) dieser drei (oder vier – Theoretikerinnen wie Gabriele Winker und Nina Degele fassen »Körper« als weitere Herrschaftsebene) basalen Modi sozialer Unterwerfung wirkt nun jenes »intersektionale« Manifest der rheinischen Camper*innen als Vademekum kleinbürgerlicher Selbstbildung. Es steht exemplarisch für eine Entwicklung, in der »alternative« (Jugend-)Bewegungen seit den späten 1960er Jahren das einst romantisch fetischisierte »Proletariat« inzwischen fast zum Hauptgegner von Emanzipation stilisieren – weil angeblich weiß und männlich. Das ist keine Besonderheit der Klimabewegung, tritt in dieser aber besonders deutlich zutage, weil hier die kulturelle Anfeindung »ihrer« Arbeiter*innen Hand in Hand geht mit einem Aktivismus gegen deren Existenz.

Aus dieser Gemengelage aber – hier endet nun die Rekonstruktion und beginnt die Replik – ergibt sich ein strategisches Problem. Konkret wird dieses, wenn Müller und Lindenberg selbst schreiben, »dass eine ‚marktbasierte‹ (sprich: kapitalistische) Lösung des Klimaproblems nur noch zum Preis intellektueller Unredlichkeit« gedacht werden könne – daraus aber keine Konsequenzen ziehen.

Hier finden sie den Ursprungsbeitrag: Velten Schäfer »Identitätsbasteleien. Über die Klassengestik der linksradikalen Klimaschutzbewegung«

Denn was ist hier in der Metropole die Machtressource einer Bewegung, die außerstande und kaum willens ist, auf der Ebene von »Klasse« zu kommunizieren? Sie kann nur an die Einsicht der Regierung appellieren und ansonsten sich selbst – stellvertretend für eng begrenzte Segmente der Mittelschichten – und eben das »grüne Kapital« samt seinen Resonanzkörpern (etwa bestimmte NGO) mobilisieren. Nun kann man sagen, es sei zunächst egal, welche Akteure zum Richtigen bewegt werden, also zu einem Abbremsen des Klimawandels. Dann nimmt man freilich in Kauf, dass sich die Externalisierung dieser »sozialen Kosten« des gegenwärtigen Kapitalismus in der Tendenz von einem Welt- in einen Binnenmaßstab verschiebt: Man »internalisiert« sie nicht ihrer Verursachung angemessen, sondern lädt sie bequem bei Personen ab, die dann zu den unteren Schichten zu zählen sind. Müllers und Lindenbergs Faustregel »im Zweifel für die Lebensgrundlagen, im Zweifel für die Klimagerechtigkeit« heißt dann nichts anderes als »im Zweifel von oben«.

Auch ohne auf die moralische Dimension dieses Gerechtigkeitsdilemmas einzugehen, drängt sich an dieser Stelle ein zweites Problem auf: Wer sich auf das »grüne« Kapital und seine formal organisierten oder milieuhaft vagen Resonanzkörper stützt, liefert sich nolens volens einem politischen Block mit sehr begrenzter Agenda aus. Für das Abschalten der Kohle und den sukzessiven Ausstieg aus dem Erdgas, für Elektromobilität und Ähnliches ist dieser Block zu haben: Die einen profitieren, die anderen werden zumindest nicht so davon getroffen, dass Gesinnung und Geldbeutel kollidierten. Doch ist allein damit ja die Klimagerechtigkeit noch lange nicht hergestellt – zu schweigen vom weiteren Kontext jener »globalen Gerechtigkeitsfragen«, die verstockt zu übergehen Müller und Lindemann dem Autor vorhalten.

Wenn diese Fragen mit Nachdruck gestellt werden sollen, wenn es also um größere Zusammenhänge von der Rohstoffwirtschaft über internationale Arbeitsteilung bis zu den herrschenden Handelsregimes geht, wird sich schnell erweisen, dass all das mit jenem grünkapitalistischen Mittelschichtsblock – der nach aller Erfahrung seine Pfründe zu wahren versteht – nicht zu machen ist. Und Gesellschaft funktioniert nicht so, dass man sich dann halt mal eben neue Partner*innen suchen könnte. Wer also heute grosso modo bereit ist, gegen die lohnabhängigen Schichten Klimapolitik zu machen, wird keine Bündnisse mehr finden, wenn die Verfasstheit jenes asymmetrischen Regimes der Extraktion von Stoffen und Wissen aller Arten zugunsten des »Nordens« im Grundsatz angegangen werden soll, das man heute »Weltwirtschaft« nennt. Aus dem Fahrwasser des grünkapitalistischen Mittelschichtsblocks heraus wird man ganz im Gegenteil gar nicht erst in die Lage kommen, diese globalen Gerechtigkeitsfragen wirklich zu stellen – »wirklich« im Sinne jener berühmt-berüchtigten »wirklichen Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt«.

Nichts anderes meinte der kritisierte Text mit der Folgerung, »Radikalität« sei »nicht nur in Jahreszahlen zu messen«. Vielleicht verdeutlicht es der Umkehrschluss: Wer sich im »Kampf gegen das fossilistische Kapital« nicht dem »grünen« und dessen Adjutanz verschreiben will, muss genau in denjenigen sozialen Räumen hegemoniefähig sein, in denen heute und hier in den Metropolen –wo die Weichen zu stellen sind – am wenigsten vom Kapitalverhältnis profitiert wird. Hätte jemals eine operationalisierbare Verbindung zwischen Klimabewegung und Bergleuten bestanden,hätte der Ausstieg vielleicht längst stattgefunden.

Auf die Gefahr der Wiederholung: Dass eine solche Verbindung heute fast unvorstellbar scheint, liegt nicht nur an den »Kumpels«. Diese wissen zum Beispiel ja selbst am besten, dass ihre Arbeit mitnichten per se erstrebenswert ist, sondern hart und trotz allen Arbeitsschutzes noch immer latent gesundheitsschädlich, wenn nicht konkret lebensgefährlich. Es liegt nicht minder am eingeschliffenen Othering durch einen habituell vernagelten Aktivismus, der für die Dichtzumachenden nicht mehr übrig hat als gewaltvolle Bürokratenphrasen à la »sozialverträglich« – oder, fast schlimmer, leere Stanzen von der Weltrevolution.

Warum fällt Euch nicht mehr ein? Wie wäre es, wertige Seegrundstücke an gefluteten Restlöchern direkt an Arbeiter*innen zu verteilen? Wieso ist es Euch schierer Verrat, sich mit den Perspektiven zu befassen, die sich von unten auf »Strukturwandel« ergeben? Warum ist es Euch so egal, dass sich der – traurige – Rest des Klassengestus› der Bergleute unter diesen Umständen immer expliziter gegen Euch konstituiert, warum fühlt Ihr Euch davon sogar bestätigt?

Ein bloß auf die Zeitachse starrender Aktivismus für Klimagerechtigkeit und globale Lebensgrundlagen steht nicht nur seinen eigenen Zielen im Weg. Er ist auch weit weniger radikal, als seine konfrontativen Aktionsformen und seine Rhetorik ihm selbst suggerieren. Radikal wäre die Arbeit an einem historischen Block, für den nicht nach Windpark-Investment, Solardach über dem Carport der Elektrokarre und irgendwelchen klima-smarten Apps schon Schluss ist mit der (welt-)gesellschaftlichen Transformation. Das einzusehen erfordert freilich eine kognitive Kompetenz, die man Dialektik nannte, bevor das Bekenntnis die Kritik auffraß.

Um diesen Punkt noch etwas weiterzudenken: Gerade diejenige Politik zunächst im nationalstaatlichen Rahmen operierender radikaler Umverteilung, die nicht nur vom herrschenden Block als »leistungsungerecht« attackiert wird, sondern auch vom jüngeren linken Internationalismus als »national borniert« verworfen, ist auch in diesem Sinn selbstredend nicht alles. Ohne sie ist aber alles nichts. Denn je weniger bei denjenigen, die hier in der Metropole unter den herrschenden Verhältnissen das Wenigste zu verlieren haben, ein »Verteilungsvertrauen« entsteht, dass nicht wiederum sie, sondern die Profiteur*innen dieser Verhältnisse getroffen werden, wenn es um deren grundlegende Transformation geht, desto sicherer sitzen eben diese Verhältnisse im Sattel.

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