Die meistgefilmte Stadt der Welt

Drehen in der Seine-Metropole Paris wird für Produzenten immer attraktiver

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 5 Min.

Der kürzlich in die Kinos gekommene sechste Teil der US-Actionfilmreihe »Mission Impossible« spielt zum großen Teil in Paris. Hauptdarsteller Tom Cruise, der wie immer gefährliche Szenen selbst spielt, landet mit dem Fallschirm auf dem Grand Palais, fährt auf dem Motorrad - ohne Helm! - in wahnwitzigem Tempo gegen den Autostrom um den Arc de Triomphe und klettert auf dem Eiffelturm herum. Auch der Louvre, die Oper und andere Sehenswürdigkeiten sind optisch gelungen in die Handlung einbezogen. Aber es gibt auch Ungereimtheiten, vor allem was die Lage verschiedener Handlungsorte innerhalb der Stadt und zueinander betrifft, aber das bemerken sicher nur Paris-Insider.

Für den Film wurde im Frühjahr 2017 in Paris 36 Tage gedreht und für zwei Monate zusätzlich zur US-Crew vor Ort 300 französische Techniker sowie tageweise mehrere hundert Kleindarsteller engagiert. Über die Kosten macht die Produktionsfirma aus Hollywood keine Angaben, doch Schätzungen zufolge waren es mehr als die 25 Millionen Euro, die hier 2011 für den Woody-Allen-Film »Midnight in Paris« ausgegeben wurden.

Die Seine-Metropole ist die meistgefilmte Stadt der Welt. Pro Jahr werden hier über 100 in- und ausländische Spielfilme ganz oder teilweise gedreht. Hinzu kommen rund 500 Fernseh- oder Dokumentarfilme und Werbeclips. »Paris ist das größte bewohnte Filmstudio der Welt« - hat es Woody Allen auf den Punkt gebracht.

Als Ansprechpartner für Produktionsfirmen gibt es im Rathaus die Abteilung »Mission Cinéma« mit 14 Mitarbeitern. Die prüfen Anträge und erteilen kostenlos Genehmigungen für Dreharbeiten im öffentlichen Raum. Sie stellen Kontakt zu Behörden, zu Eigentümern benötigter Gebäude und Dienstleistungsunternehmen her und helfen, für alle Probleme eine Lösung zu finden. Zur Orientierung wurde ein Handbuch »Drehen in Paris« herausgebracht, in dem alle Bedingungen und Ratschläge festgehalten sind.

Für die Stadt zählt vor allem der Imagegewinn und der Anreiz für den Zustrom ausländischer Touristen. Aber auch Beschäftigungsmöglichkeiten für französisches Fachpersonal sowie zusätzliche Einnahmen für Hotels und Restaurants, die von den Filmcrews profitieren, sind Gründe.

Wenn für die Dreharbeiten zuvor Umbauten an Straßen oder Fassaden nötig sind, um ihnen ihr historischen Aussehen zurückzugeben, oder Verkehrsschilder, Ampeln und Zebrastreifen entfernt werden müssen, berechnet die Stadt für den Einsatz der Kommunalarbeiter nur die reinen Selbstkosten. Hilfsbereit sind auch das Verteidigungsministerium, das für den Helikopter in »Mission Impossible« zeitweise das Überflugverbot über der Stadt aufgehoben hat, und die Polizeipräfektur. Polizisten werden zum Absperren und Regulieren des Verkehrs benötigt. Lastwagen mit Technik, Kostümen und Requisiten für einen Spielfilm reihen sich oft bis zu einem Kilometer lang am Straßenrand entlang und sorgen für Ärger bei den Anwohnern, weil sie die Parkplätze blockieren. Pro Polizist und Stunde werden neun Euro berechnet. Damit kommt man den Filmgesellschaften entgegen, denn allein die Gehaltskosten sind doppelt so hoch. Für die Verfolgungsjagd von Tom Cruise, die an einem Sonntagmorgen gedreht wurde, mussten der Platz um den Triumphbogen und die zwölf auf ihn zuführenden Straßen von Sonnenaufgang an für eineinhalb Stunden komplett für alle Autos und Fußgänger gesperrt werden. Dafür waren mehrere hundert Polizisten nötig.

Bei Gebühren für die Nutzung von Gebäuden und historischen Bauwerken, die nicht der Stadt gehören, gibt es keine »Freundschaftspreise«. So berechnet der Louvre für das Drehen an einem Dienstag, dem wöchentlichen Schließtag, 25 000 Euro. Der Eiffelturm nimmt pro Tag 10 000 Euro, wobei hier der normale Besucherverkehr nur zum Teil eingeschränkt wird. Das Schloss Versailles ist so teuer, dass es sich nur wenige Hollywood-Produzenten leisten können, hier zu drehen. So mussten für den Film von Sofia Coppola über Marie-Antoinette 320 000 Euro insgesamt berappt werden. Wer sparen muss, nimmt das 30 Kilometer östlich von Paris gelegene Schloss Champs-sur-Marne, das 4500 Euro pro Tag kostet und innen sehr Versailles ähnelt. Es kann auch als Ausweichvariante für den Elysée-Palast dienen, für den fast nie Drehgenehmigungen erteilt werden. Die Pariser Verkehrsbetriebe RATP halten für Filmarbeiten eine stillgelegte Metrostation bereit, die pro Tag 13 000 Euro kostet. Hinzu kommen 2000 Euro für einen Metrowaggon bzw. 11 000 Euro für einen ganzen Zug - oder 15 000 Euro, wenn es ein historischer Zug aus den 30er Jahren mit Holzsitzen und Messingbeschlägen sein soll.

Paris sieht sich einer starken Konkurrenz durch andere Städte ausgesetzt, die auch internationale Filmproduktionen an sich ziehen wollen. Weil in Mittel- und Osteuropa die Kosten bis dreimal niedriger liegen, sind auch viele französische Produktionen abgewandert. So wurde zwischen 1991 und 2005 die Serie der mehr als 50 Maigret-Filme mit Bruno Cremer in der Hauptrolle in Prag gedreht, wo viele Straßen dem Paris vergangener Jahrzehnte ähneln. Um Paris in dieser Hinsicht attraktiver zu machen, wurde 2016 ein internationaler Steuerkredit eingeführt, durch den Produktionsfirmen bis zu 30 Prozent Kosten sparen. Die Beratungsagentur Ernst & Young hat ausgerechnet, dass ein Euro Steuerkredit sieben Euro an direkten oder indirekten Ausgaben vor Ort nach sich zieht. Das ist von großer Bedeutung für die Filmindustrie in der Pariser Region mit ihren 90 000 Beschäftigten, von denen nur 13 800 fest angestellt sind. Die anderen müssen sich von einem Dreh zum anderen durchschlagen. Nicht zuletzt durch die Steuervergünstigungen ist in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der in Paris gedrehten Filme um 40 Prozent gestiegen.

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