nd-aktuell.de / 25.08.2018 / Wissen / Seite 27

Pfeifer gegen Pfeifenberger

Die Kämpfe eines österreichischen Journalisten und Shoah-Überlebenden. Von Roland Kaufhold

Roland Kaufhold

Es gibt wohl keine Schmähung, die dem österreichisch-israelischen Journalisten Karl Pfeifer erspart geblieben ist: Er sei ein »stinkender Jude«, ein »Kommunist« und selbstredend ein »Menschenhetzer«. Er selbst hat hierüber nur gelächelt. Für ihn waren solche antisemitischen Beleidigungen vor allem Selbstentblößungen der Angreifer.

Karl Pfeifer wächst in einer jüdischen Familie auf, er hat fast nur jüdische Freunde. Sein 15 Jahre älterer Bruder geht 1935 nach Palästina. Zu seinem neunten Geburtstag erhält Karl von diesem eine Postkarte: »Sei immer stolz, ein Jude zu sein.« Die gewalttätigen Umstände sorgen dafür, dass dies für den gottlosen Juden zu einem Lebensmotto wird.

1938 wird Karl erstmals mit dem »noch gemütlichen Antisemitismus« konfrontiert: Da er am Religionsunterricht in der Schule nicht teilnehmen darf, wird er von seinen Mitschülern als »Gottesmörder« beschimpft. Es kommt noch im selben Jahr zu Handgreiflichkeiten, er wird von Hitlerjungen auf der Straße überfallen. Die Familie hält nun nichts mehr in ihrer Heimat, das seit einem halben Jahr dem Nazideutschland »angeschlossen« ist. Sie flieht nach Ungarn. Karl lernt in kürzester Zeit Ungarisch. Er besucht ein jüdisches Gymnasium und wird nun auch in Budapest mit Antisemitismus konfrontiert. »In mir reifte der Entschluss, auch kein Ungar mehr sein zu wollen.« 1940 findet er Zugang zur linkszionistischen Jugendgruppe Schomer Hazair: »Wir sind keine Ungarn und es gibt auch keinen Gott«, ist deren Überzeugung. Karl fühlt sich dieser Gemeinschaft zugehörig. 1942 erzählt er seinen Freunden, nach der Lektüre linkszionistischer Zeitschriften, dass in Polen Juden von den Deutschen in Gasöfen verbrannt werden. Dieses Schicksal haben die Nazis auch für die ungarischen Juden vorgesehen. Karl gelingt Anfang 1943 die rettende Flucht mit einem Kindertransport nach Palästina. Sein Vater und 36 weitere Familienangehörige werden Opfer des Holocaust.

Im linkszionistischen Kibbuz Maabarot erlernt der wissensdurstige Jugendliche Hebräisch und wird in landwirtschaftlichen Berufen ausgebildet. Noch ist er begeistert: Endlich ein selbstbestimmtes Leben unter Juden! Es gibt heftige politische Diskussionen im Kibbuz. Die Jugendlichen erfahren, dass Stalin in allen Fragen recht habe, sich jedoch in der jüdischen Frage irre. Im März 1946 schließt er sich der paramilitärischen Untergrundorganisation Palmach an. Er erlebt, wie bereits vor der Staatsgründung Israels jüdische Autobusse von Arabern überfallen werden; innerhalb einer Woche werden 37 Juden getötet. Keine 24 Stunden nach der international anerkannten Staatsgründung wird Israel von fünf arabischen Staaten angegriffen: »Gleich nach der Unabhängigkeitserklärung musste Israel erkennen, dass die Vereinten Nationen machtlos waren.« Karl kämpft im 1948er Unabhängigkeitskrieg in der Elitetruppe der Palmach.

Nach dem Krieg ist ist er orientierungslos, aber weiterhin neugierig und wissensdurstig: »Zurück in den Kibbuz wollte und konnte ich auf keinen Fall. Für die Landwirtschaft war ich vollkommen ungeeignet.« Er geht nach Haifa, arbeitet auf Schiffen und bildet sich autodidaktisch weiter. Der junge Mann hat stets Hunger und muss gelegentlich Lebensmittel stehlen, um zu überleben.

1951 kehrt der nunmehr 23-Jährige über Frankreich nach Österreich zurück. Der Konsul in Paris hat ihm davon abgeraten. Er sei dort als Jude nicht erwünscht. Eigensinnig wischt Karl alle Bedenken beiseite: »Ich war neugierig auf das, was mich in Europa erwartet.« Der jüdische Rückkehrer verkörpert für die österreichische Mehrheitsgesellschaft, die sich nicht viel weniger schuldig gemacht hat als die deutsche, die »Schuld«: »Das war der größte Fehler meines Lebens«, erzählt Karl Pfeifer seinen jungen Zuhören immer wieder, »aber andererseits …« Und dann bringt er die Geschichte mit dem niedrigen Blutdruck: Er brauche nur eine österreichische Tageszeitung zu lesen, dann sei sein Blutdruck wieder in Ordnung. Es klingt bitter, wenn er konstatiert: »Ich glaube bis heute nicht, dass in Österreich ein Jude seine Menschenwürde wahren kann!«

Karl bleibt unbeugsam, allen und allem gegenüber. Im Büro der Jüdischen Gemeinde Wiens wird er nach seinen Eindrücken von Österreich gefragt und antwortet: »Für meinen Geschmack sind die Nazis hier zu laut.« Von da ab gilt er als Kommunist. Und tatsächlich geht er danach zum Büro der Kommunistischen Partei, um sich als Mitglied einzuschreiben. Er fliegt dort aber gleich wieder raus, als er fragt, ob Stalin ein Gott für die Kommunisten sei, die doch eigentlich keine Götter dulden.

Es folgen zwei unruhige, getriebene Jahrzehnte: Karl arbeitet als Hotelportier, jobbt im feinen Astoria und lernt nebenbei mehrere Sprachen. Dann reist er nach Neuseeland, in die Schweiz, nach Italien und zwischendurch wieder nach Israel. 1982 wird er Redakteur bei der jüdischen Gemeindezeitung von Wien und schreibt auch für zahlreiche internationale Medien, darunter entlarvende Beiträge über den Rechtspopulisten Jörg Haider und über den mit Nazis kollaborierenden Kanzler Bruno Kreisky.

Seinen ersten journalistischen Beitrag schreibt Karl über Ungarn. Kritische Distanz ist seine Grundhaltung: »Ich schwärmte nicht für ›die lustigste Baracke des sozialistischen Lagers‹, sondern befasste mich schon damals mit Menschenrechtsproblemen«, betont er. 1983 warnt ihn die Presseabteilung des ungarischen Außenministeriums: »Sie dürfen nicht den Antisemitismus aus Wien importieren. Wir haben nach 1945 dieses Problem ein für alle Mal gelöst.« Viermal wird der Journalist Pfeifer wegen seiner kritischen Beiträge aus Ungarn verwiesen. Einschüchtern lässt er sich jedoch nicht. Als Benjamin Netanjahu 2017 Viktor Orbán besucht, zürnt Karl Pfeifer dem israelischen Premier: »Nur um seine rechte Koalition zusammenzuhalten, setzt Netanjahu die Beziehung zu großen jüdischen Gemeinden im Ausland aufs Spiel. Was seit Jahren in Ungarn passiert und sich jetzt zuspitzt, erinnert mich zunehmend an dunkelste Zeiten.«

1995 beginnt eine Auseinandersetzung, die Karl Pfeifer schwer zusetzt. Sie endet zwölf Jahre später mit einem grandiosen Triumph: Der österreichische Politologe und Hochschullehrer Werner Pfeifenberger publizierte einen mehr als umstrittenen Beitrag, in dem er behauptete, dass am Zweiten Weltkrieg die Juden selbst schuld seien. Das sei eine »Verkehrung von Opfern und Tätern«, empört sich Karl Pfeifer im Magazin der Jüdischen Gemeinde Wiens. Es kommt zu einem Gerichtsprozess, in erster Instanz gewinnt Pfeifer, dann verliert er. Fünf Jahre später stürzt Pfeifenberger in den Alpen in den Tod. Die rechte Presse entfacht eine Kampagne gegen Karl Pfeifer: Der »jüdischer Journalist« habe eine »Menschenhatz eröffnet«. Karl lässt sich dies nicht bieten. 2007 gewinnt er vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. In Israel wurde die Kontroverse mit Aufmerksamkeit verfolgt.

2013 legt Pfeifer mit »Einmal Palästina und zurück« den ersten Teil seiner Autobiografie vor. 2016 folgt »Immer wieder Ungarn«. »Während ich noch bis vor ein paar Jahren oft und gerne nach Ungarn fuhr, tue ich das heute nicht mehr«, merkt er lakonisch an. Gern geht er in die Schulen: »Dort erlebe ich das andere Österreich, das sich ehrlich mit seiner eigenen Vergangenheit auseinandersetzt.«

Im Juli 2018 wurde Karl Pfeifer das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen. »Wir beide, die Republik und ich, sind einen weiten Weg gegangen«, ist seine Dankesrede überschrieben. Am 22. August feierte Karl Pfeifer seinen 90. Geburtstag.