Verkehrschaos und Wohnungsnot

In Potsdam streiten sechs Oberbürgermeisterkandidaten über die zwei wichtigsten Themen der Stadt

Im Alten Rathaus, wo nur das Stadtmuseum untergebracht ist, treten am Mittwochabend die sechs Männer und Frauen auf, die demnächst als neuer Oberbürgermeister im aktuellen Potsdamer Rathaus das Sagen haben möchten. Am 23. September wird gewählt. Die »Märkische Allgemeine« hat zum Talk mit den Kandidaten eingeladen. Der Saal ist groß und trotzdem bis auf den letzten Platz belegt. Wer keinen Stuhl mehr gefunden hat, sitzt auf einer Fensterbank oder lehnt an der Wand. Selbst draußen sind noch Menschen und schauen sich dort an einem Bildschirm die Übertragung der Veranstaltung an.

Diskutiert wird über die Probleme, die aus Sicht der Bürger am dringendsten einer Lösung bedürfen: Einer Meinungsumfrage zufolge halten 57 Prozent der Potsdamer das Verkehrschaos und 44 Prozent die Wohnungsnot für die wichtigsten Themen in der Stadt. Alle anderen Themen landeten weit abgeschlagen, etwa Kriminalität (drei Prozent) oder Flüchtlinge (zwei Prozent) und sogar Kitas und Schulen (16 Prozent).

Gern wird darüber geredet, ob eine dritte Brücke über die Havel die alltäglichen Staus in der Innenstadt auflösen könnte. Doch das Reden über die sogenannte Havelspange hilft nicht weiter. Im aktuellen Bundesverkehrswegeplan steht sie nicht drin - und wenn es den nächsten gibt, ist die achtjährige Amtszeit des neuen Oberbürgermeisters schon wieder vorbei. »Bevor die Havelspange fertig sein könnte, ist das Erdöl alle«, frotzelt Lutz Boede, Kandidat der linksalternativen Wählergruppe »Die Andere«. Boede ist für eine autofreie Innenstadt. Doch Götz Friedrich (CDU) und Dennis Hohloch (AfD), der an einer Berliner Schule Geschichte und Geografie unterrichtet, legen sich für den Autoverkehr ins Zeug.

Nach Investitionen in Radwege gefragt, hat Mike Schubert (SPD) die Zahl nicht parat, aber Martina Trauth (für LINKE) kann Auskunft geben. Sie möchte die Summe von zehn Euro pro Jahr und Einwohner auf 18 Euro erhöhen. Dagegen legt sie sich nicht fest, wie autofrei die Innenstadt ihrer Ansicht nach ganz konkret sein sollte. Das will sie mit den Bürgern besprechen wie viele andere Dinge auch. Ihr basisdemokratischer Politikansatz überzeugt aber nicht alle Zuhörer. Wenn nicht resolut entschieden wird, dann werde nie etwas daraus, sagt ein Herr, bevor er geht, weil ihm die Diskussion zu langweilig wird. Dabei ist der abendliche Talk keineswegs einschläfernd. Es geht lebhaft zu. Es wird gelacht, geklatscht und gebuht - auch, als es um bezahlbare Wohnungen geht. Selbst bei der kommunalen Pro Potsdam GmbH kosten Neubauwohnungen zehn Euro pro Quadratmeter, beklagt Martina Trauth. Ihr Rezept: einen Teil von Pro Potsdam in ein gemeinnütziges Unternehmen verwandeln, das dadurch Steuern spart und wieder Mieten von sechs Euro pro Quadratmeter anbieten könnte.

Die Kandidaten von CDU und AfD behaupten noch immer, dass sich bezahlbare Mieten auch mit privaten Investoren realisieren lassen. Doch die Belegungsbindung entfällt nach 15 Jahren, die Quartiere werden dann auch teuer und der knappe Platz in der wachsenden Stadt ist weg, stellt Lutz Boede klar. Er wirbt für ein großes Kontingent städtischer Wohnungen, bei denen die Preise nicht einfach regelmäßig an den Mietspiegel angepasst werden, sondern nur noch steigen, wenn die Wohnungen modernisiert werden. Auch der SPD-Politiker Schubert hat erkannt: Darauf zu setzen, dass der Markt es regelt, war ein Fehler. Janny Armbruster (Grüne) hat natürlich auch etwas zu sagen. Aber das ist uninteressant, denn sie hat laut einer Forsa-Umfrage bei der OB-Wahl die geringsten Chancen. Vorn liegt mit 29 Prozent Mike Schubert, gefolgt von Martina Trauth mit 25 Prozent. Und überhaupt: die wichtigen Entschlüsse fasst das Stadtparlament, und über dessen Zusammensetzung entscheidet erst die Kommunalwahl im Mai 2019.

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