nd-aktuell.de / 05.09.2018 / Politik

Kurden ringen um den Erhalt ihrer Demokratie

Minderheit in Verhandlungen mit Regierung in Damaskus um ihre Autonomie

Delil Souleiman, Kamischli

Eigene Schulen, eine eigene Polizei und ein eigenes Parlament haben die syrischen Kurden im Nordosten des Landes seit Beginn des Bürgerkriegs 2011 aufgebaut. Ihre Autonomiebestrebungen wurden von der Regierung in Damaskus lange stillschweigend geduldet, doch nun will Präsident Baschar al-Assad auch die Kurdengebiete wieder unter seine Kontrolle bringen. Die Kurden müssen nun befürchten, dass sie im Ringen um die Nachkriegsordnung wie so oft in ihrer Geschichte den Kürzeren ziehen.

»Syrien wird nicht zu dem zurückkehren, was es war. Es braucht eine dezentralisierte Demokratie«, versichert der führende Kurdenpolitiker Saleh Muslim. »Wir haben unser Projekt, das aus unserer Sicht ein Modell für ganz Syrien sein kann, und wir halten daran fest.« Ohne verlässlichen ausländischen Partner ist es aber ungewiss, ob die Kurden ihre Autonomie werden verteidigen, geschweige denn die syrische Staatsordnung prägen können.

Wenn am Freitag in Teheran die Präsidenten des Iran, der Türkei und Russlands zusammenkommen, um über die syrische Nachkriegsordnung zu verhandeln, dürften auch die Kurden ein wichtiges Thema sein. Die Türkei, die wiederholt mit einer Intervention gegen die Kurden in Nordsyrien gedroht hat, lehnt jede Form der Autonomie für die Minderheit ab, da sie fürchtet, dass dies die PKK-Guerilla in ihrem Kampf in der Türkei stärken würde.

Im März vertrieb die türkische Armee mit verbündeten syrischen Rebellen bereits die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) aus ihre Hochburg Afrin im Nordwesten Syriens. Zwar erscheint eine weitere türkische Offensive auf die kurdischen »Kantone« im Nordosten wenig wahrscheinlich, doch dringt auch die syrische Zentralregierung darauf, die selbsterklärte »föderale Region« der Kurden unter ihre Kontrolle zu bringen.

»Der syrische Staat wird niemals eine autonome Verwaltung akzeptieren«, sagt der Analyst Bassam Abu Abdallah in Damaskus. Er rät den Kurden, sich mit beschränkten Selbstverwaltungsrechten auf kommunaler Ebene zufrieden zu geben. Der Kurdenexperte Mutlu Civiroglu betont dagegen, dass die Kurden niemals zu der Vorkriegsordnung zurückkehren würden. »Das ist aus kurdischer Sicht die rote Linie«, sagt Civiroglu.

Vor dem Bürgerkrieg waren die Kurden jahrzehntelang unterdrückt worden. Da unter der autoritär regierenden Baath-Partei der arabische Nationalismus Staatsideologie war, wurden die Kurden nicht als eigene Volksgruppe anerkannt und hunderttausende Kurden hatten nicht einmal einen syrischen Pass. Als sich die Regierung 2012 aus den Kurdengebieten zurückzog, öffneten sich aber für die Kurden ungeahnte Freiräume.

Unter der Führung der Partei der Demokratischen Union (PYD) und ihres bewaffneten Arms, der YPG, stellten sie eine eigene Polizei auf, organisierten einen kurdischen Lehrplan und wählten ein eigenes Parlament. Nachdem sie mit US-Hilfe die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) zurückgedrängt hat, kontrolliert die YPG heute mit verbündeten arabischen Milizen 30 Prozent des syrischen Territoriums und einige der größten Ölfelder.

Zwar werden die Kurden im Kampf gegen die Dschihadisten weiterhin von hunderten US-Spezialkräften unterstützt, doch hat Präsident Donald Trump angekündigt, die Truppen bald abzuziehen. Die Kurden sind sich bewusst, wie schwierig ihre Lage ist, und haben Ende Juli Verhandlungen mit der Zentralregierung in Damaskus aufgenommen, um so viel wie möglich von ihrer Autonomie in die Nachkriegsordnung zu retten.

»Wir versuchen das gesamte autonome System zu bewahren, das wir aufgebaut haben, die Institutionen, die Demokratie«, sagt der Kurdenführer Muslim. »Es gibt aber eine Mentalität, die dies nicht akzeptiert, daher muss es schrittweise geschehen.« Assad hat bisher einen offenen Konflikt mit den Kurden vermieden, doch im Mai drohte er unverhohlen: Wenn die Verhandlungen scheiterten, »werden wir diese Gebiete mit Gewalt befreien«. AFP/nd