nd-aktuell.de / 08.09.2018 / Reise / Seite 30

Zum Neuschwanstein des Nordens

Schlossromantik im Hinterland der Ostsee.

Cornelia Höhling

Sommer, Sonne, Wasser, Sand - gibt es nicht nur am Ostseestrand. Auch die zahlreichen Gewässer im tiefen Hinterland der Küste eröffnen schier unendliche Möglichkeiten für unvergessliche Ferientage. Mecklenburg-Vorpommern bietet nicht nur fantastische Naturschönheiten, sondern gleichermaßen eine europaweit einzigartige Dichte an geschichtsträchtigen Baudenkmalen. Etliche gehen auf Karl Friedrich Schinkel, den berühmten Architekten der Hohenzollern, und ein halbes Dutzend seiner besten Schüler zurück. Die Parklandschaften hingegen prägte niemand nachhaltiger als Peter Joseph Lenné.

Dieses Erbe an Schlössern, Guts- und Herrenhäusern zu erhalten, stellt heutzutage vor allem eine finanzielle Herausforderung dar. Über die Hälfte der rund 2900 Bauwerke steht unter Denkmalschutz. Deshalb setzen die seit der Wende zumeist wieder privaten Besitzer auf staatliche Unterstützung, wie Robert Uhde, Sprecher des Vereins der Schlösser, Guts- und Herrenhäuser in Mecklenburg-Vorpommern, auf einer Fachtagung äußerte.

Etliche der historischen Gebäude sind nah am Wasser gebaut. So lässt es sich im doppelten Wortsinn leicht vor Anker gehen, zumal heute viele als Museum oder Hotel und damit touristisch genutzt werden. Das zweifellos prächtigste finden wir in Schwerin. 2018 feierte die kleinste Landeshauptstadt Deutschlands 1000 Jahre Ersterwähnung in der Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg, erzählt Stadtführerin Teresa Beck vor der beeindruckenden Schlosskulisse. Auch hier, in der »Stadt der sieben Seen« mit Weltkulturerbeantrag, sei das Wasser ein tragendes Element - nicht nur für Schiffsrundfahrten und Hausboote. Es inspiriere förmlich zu sportlicher Betätigung. Dem staatlichen Schloss mit seiner malerischen Insellage brachten seine golden funkelnde Kuppel und die zahlreichen Türme den Beinamen »Neuschwanstein des Nordens« ein.

Im 12. Jahrhundert von Sachsenkönig Heinrich dem Löwen anstelle der alten Slawenburg »Zuarin« errichtet, diente es bis 1918 als Residenz der mecklenburgischen Herzöge. Als Teresa erwähnt, dass sich diese zwischenzeitlich im nahe gelegenen Ludwigslust niedergelassen hatten, steht unser nächstes Reiseziel fest. Doch vorher bewundern wir in den Museumsräumen des Schweriner Schlosses die im 19. Jahrhundert erfolgten repräsentativen Umbauten. Wir erfahren, dass - im heutigen Sitz des Landtages - noch immer das legendäre »Petermännchen« sein Unwesen treiben soll. Der kleine Schlossgeist ist zugleich so beliebt, dass Reiseleiter gern Besucher in entsprechender Verkleidung durch die Stadt zu historischen Sehenswürdigkeiten führen, darunter zum ältesten Haus von 1572. Garantiert gibt es einen Stopp am »Löwendenkmal« auf dem Marktplatz, das 1995 dem Stadtgründer Heinrich anlässlich seines 800. Todestages errichtet wurde. Auch der »Goldene Ochse« gehört zu Schwerin. Alljährlich wird der vom Stadtwappen inspirierte Preis auf dem Filmkunstfest verliehen, denn Urlaubszeit ist auch Kulturzeit, wie nicht zuletzt die beliebten Schlossfestspiele zeigen.

Wir genießen indes den Stopp im Bierpostamt und verkosten einige der dort angebotenen 300 Biersorten, die man auch online ordern kann. Kaum zu glauben, dass sogar das mit 57 Prozent Alkoholgehalt stärkste Bier der Welt erhältlich ist.

Weiter geht’s nach Ludwigslust. Mit dem im 18. Jahrhundert errichteten Barockensemble, das heute ebenfalls als Museum jedem offen steht, treffen wir dort nicht nur auf »Mecklenburgs Versailles«, sondern auf den nächsten schmackhaften Tropfen: Sanddornlikör. Denn am Fuße des Schlosses befindet sich die »SanddornWiege«. Im einstigen Hof- bzw. Küchengarten begrüßt Silvia Hinrichs die Gäste. Die Geschäftsführerin der Sanddorn Storchennest GmbH kennt sich aus, beschäftigt sie sich doch bereits seit ihrer Lehre vor 44 Jahren mit dieser als »Vitaminwunder« gepriesenen gezähmten Wildfrucht. Die orangefarbene Beere sei auf Rügen schon immer zu Most und Marmelade verarbeitet worden. Früher wunderte man sich über das glänzende Fell mancher Pferde, sagt sie, dabei hätten die einfach nur Sanddornblätter gefressen. In den 1970er Jahren in einer Ostberliner Baumschule zur »Zitrone des Ostens« kultiviert, werden daraus heute neben Saft, Tee, Likör und leckeren Süßigkeiten auch kosmetische Produkte hergestellt. Ende August beginnt hier auf der ältesten und größten Kultursanddornplantage Deutschlands die Erntezeit.

Die Schicksale der schlossartigen Guts- und Herrenhäuser des Bundeslandes sind unterschiedlich. Während das einstmals der Familie von Bülow gehörende Anwesen Neu Schlagsdorf 1996 nach vier Jahren Leerstand abgerissen wurde, erstrahlt das Gutsschloss Wendorf in neuem Glanz. Hier, etwa 30 Autominuten östlich von Schwerin, inmitten von Wald- und Ackerflächen, Wasserläufen, Seen und Feuchtwiesen, werden Hotelgäste zu Schlossherren auf Zeit. Denn der einstige Rittersitz Wendorf ist jetzt ein Schlosshotel. Erst 1904 endete die Lehensherrschaft des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin über das Gut. Nach 1945 und der Bodenreform profitierte die gesamte Dorfbevölkerung von einem Aufschwung der Lebensbedingungen. In DDR-Zeiten übernahm die LPG die Geschicke. Das Gutsschloss wurde als Kinderheim und Schule genutzt.

Nach der Wende folgte ein wirtschaftlicher und politischer Niedergang des Ortes, wie der Heimatverein beklagt. Neue Perspektiven eröffneten sich dann mit dem Kauf des Gutsschlosses samt Ländereien und Park durch den Österreicher Udo M. Chistée. Der Hotelentwickler, Eigentümer und Geschäftsführer der Amedia Hotelgruppe und Pferdezüchter sah darin zunächst seinen Altersruhesitz. Unter Einbeziehung von Fördergeldern ließ er das elegante Herrenhaus modernisieren und schließlich darin das einzige 5-Sterne-Schlosshotel der Region einrichten. Er schuf damit nicht nur einen nostalgischen Anziehungspunkt für Urlauber, sondern auch Arbeitsplätze.

Wahrhaft fürstlich präsentieren sich die Suiten im Haupthaus und der hauseigene Spa-Bereich mit direktem Zugang zum Schlosspark. Weitläufige Pferdeweiden, die 2013 errichtete Reithalle der Pferdesportarena und neue Pferdeboxen stehen auch mitgebrachten Tieren zur Verfügung, für deren Betreuung Dressurreiter und Pferdeausbilder sorgen.

Von der Terrasse genießen wir den herrlichen Blick auf Schlossallee und Schlossgarten, in dem Skulpturen des 1942 in Chemnitz geborenen Bildhauers Wieland Schmiedel bewundert werden können. Die Dorfbewohner, die früher Park und Teich etwa zum Grillen und Angeln nutzten, haben zu ihrem Leidwesen keinen Zugang mehr. Dennoch bleibt die Region mit den weiten Waldflächen, Flusstälern und der sanften Hügellandschaft ein Eldorado für Radfahrer, Wanderer, Wassersportler und Reiter. Nur acht Kilometer vom Schlosshotel Wendorf entfernt hält die Golfanlage WinstonGolf mit dem prämierten 18-Löcher-Linkscourse, für den extra Sandhügel aufgeschüttet wurden, eine weitere sportliche Herausforderung bereit.

Infos

Tourist-Info Schwerin: Tel.: (0385) 59 25 222, www.schwerin.info[1]

BierPostAmt: www.BierPost.com[2]

Ludwigslust:www.stadtludwigslust.de[3]

Sanddornausstellung, Gartenmarkt und Hofladen: www.sanddornwiege-ludwigslust.de[4]

Grand Hotel Schloss Wendorf: Tel.: (38486) 3366-0, www.grand-hotel-wendorf.com[5]

Links:

  1. http://www.schwerin.info
  2. http://www.BierPost.com
  3. http://www.stadtludwigslust.de
  4. http://www.sanddornwiege-ludwigslust.de
  5. http://www.grand-hotel-wendorf.com