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Nein zu Kameras und Staatstrojanern

Breiter Protest gegen verschärftes Polizeigesetz in Niedersachsen

  • Hagen Jung, Hannover
  • Lesedauer: 4 Min.

Grimmig blickt Niedersachsens Innenminister von einem Protestplakat in die Menge. »Pistorius is watching you« ist darauf zu lesen. Kurz und knapp fasst das zusammen, was der Sozialdemokrat gutheißt: Mehr Überwachungskameras im öffentlichen Raum, das Überwachen von E-Mails und Chats durch Staatstrojaner, mit denen sich die Polizei in private Computer einhacken darf und das »präventive« Wegsperren von Menschen, die möglicherweise »Gefährder« sein könnten, bis zu 74 Tage lang.

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Nein, man sei nicht auf dem Weg zum Überwachungs- oder gar zum Polizeistaat, hatte Boris Pistorius die Gesetzesvorlage unlängst in einer Fernsehsendung verteidigt, und argumentiert: Einschneidende Maßnahmen müssten ohnehin richterlich genehmigt werden. Die deutliche Mahnung der Landesdatenschutzbeauftragten Barbara Thiel (CDU), das neue Gesetz beschneide »unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung« die Freiheitsrechte bis zur Unkenntlichkeit, scheinen den SPD-Minister allerdings einen feuchten Kehricht zu interessieren; er will die Verschärfung durchsetzen.

Unzählige Bürgerinnen und Bürger wollen das allerdings nicht, und so hatten am Samstag »130 Bündnispartner« - so formuliert es die Polizei - über 10 000 Menschen zu einer Demonstration gegen die Überwachungs- und Einsperrpläne der in Hannover regierenden SPD/CDU-Koalition mobilisiert. Partner im Protest gegen die drohenden Restriktionen waren dabei viele, die sich sonst so gar nicht partnerschaftlich begegnen.

Fangruppen der niedersächsischen Fußballvereine Hannover 96, VfL Osnabrück, Eintracht Braunschweig und VfL Wolfsburg etwa. Und die gelben Fahnen der FDP-Jugend, der Jungen Liberalen, berührten sich flatternd mit den roten der LINKEN. Für ein paar Stunden war man sich nah.

Gewerkschafter, Rechtsanwälte, und sehr viele Frauen und Männer, die nicht irgendwie organisiert sind, zogen gemeinsam durch die Stadt. Bürgerprotest, der diese Bezeichnung wahrlich verdient und deutlich machte: Ein großer Teil der Niedersachsen will die härtere Gangart nicht, die SPD und CDU der Polizei gestatten möchten. Besonders die Möglichkeit, Menschen, die als »Gefährder« eingestuft werden, bis zu 74 Tage polizeilich einsperren zu dürfen, erregt viel Unmut, wie auf der Kundgebung in Hannover immer wieder zu hören war.

Als stärkste Oppositionspartei im Landtag waren die Grünen dort unter anderem durch ihren innenpolitischen Sprecher Belit Onay vertreten. Das geplante Polizeigesetz schieße weit über das eigentliche Ziel hinaus, warnte er. Statt zu mehr Sicherheit beizutragen, sorge es für Verunsicherung in der Bevölkerung. Die Landesregierung ignoriere die massiven Bedenken von Juristen, Datenschützern und Gewerkschaftern, unterstrich der Politiker.

Von der Regierungspartei SPD war angesichts des massiven Bürgerprotestes aktuell nichts zu hören, und zu lesen. Auf ihrer Internetseite beschwichtigen die Sozialdemokraten ganz so, wie es das Wohlgefallen ihres Genossen Pistorius finden dürfte. Nie zuvor sei die niedersächsische Polizei so stark wie heute. Aber um auf terroristische Bedrohungen angemessen reagieren zu können, müsse das Polizeigesetz modernisiert werden, schreibt die SPD.

Nicht auf dem Kurs des Innenministers und seiner Mitstreiter sind indes die Jungsozialisten. Auch sie brachten ihr Nein zu mehr Überwachung und zur langen Präventivhaft auf der durchweg friedlich verlaufenden Demo zum Ausdruck. Die von Rot-Schwarz vorgebrachte Vereinbarkeit von Sicherheitsinteressen und Grundrechtsschutz sei »nichts anderes als ein Scheinkompromiss«, sagte Jakob Blankenburg, einer der Juso-Vorsitzenden im Land.

Mit dem neuen Gesetz dürfe Niedersachsen nicht zum Polizeistaat werden, mahnte der Landesvorsitzende der Jungen Liberalen, Lars Alt, und bekräftigte: Das geplante Gesetz stelle einen Angriff auf die Bürgerrechte dar, »der mit unserem liberalen Rechtsverständnis unvereinbar ist«.

Ein solches Rechtsverständnis hatten sich auch die Männer gewünscht, deren Denkmal das Ziel der Demonstration am Samstag war: die »Göttinger Sieben«, Universitätsprofessoren, die 1837 gegen die von Welfenmajestät Ernst-August veranlasste Aufhebung der 1833 eingeführten liberalen Verfassung im Königreich Hannover protestiert hatten und deshalb ihre Stellung an der Universität verloren; drei von ihnen mussten sogar das Land verlassen. Die Plastik jener aufrechten Demokraten, um die sich am Samstag die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der auch nach Polizeiangaben durchweg friedlich verlaufenden Demo geschart hatten, steht ganz nah am Plenarsaal des Niedersächsischen Landtages. Ob seine rot-schwarze Mehrheit die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger und auch die Warnung der obersten Datenschützerin und vieler Juristen in Sachen Polizeigesetz ernst nimmt, bleibt nun abzuwarten.

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