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Das Maaßen ist voll, eigentlich

Kein Formfehler: Der Verfassungsschutzchef stellt sich und den Dienst gegen die Regierungschefin

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen ist parteilos. Doch durchaus parteiisch. Obwohl er in seiner Funktion eigentlich nur leitender Staatsdiener und kein Politiker ist, lenkt er immer mehr Geschicke des Landes. Jüngst hat er sich öffentlich zu den Vorfällen in Chemnitz geäußert. In »Bild« las man, er teile die »Skepsis gegenüber den Medienberichten zu rechtsextremistischen Hetzjagden«. Nach seiner »vorsichtigen Bewertung« sprechen »gute Gründe« dafür, dass es sich bei einem oft gezeigten Video »um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken«. Die Formulierungen sind so clever formuliert, dass der Verdacht von Spontaneität und einem Alleinhandeln ausgeschlossen werden muss.

Maaßens Aufstieg in die erste Beamtenliga begann als knallharter Referatsleiter für Ausländerrecht im Bundesinnenministerium. Unabhängig vom zweifelhaften Inhalt der Äußerungen ist der Beamte viel zu erfahren, um nicht zu wissen, dass er gerade mehrere »Formfehler« begangen hat. Der simpelste: Die Untersuchungen des rechtsextremistisch gelenkten Aufruhrs in Sachsen und darüber hinaus sind eindeutig Sache von Polizei und Staatsanwaltschaft. Da hat der Verfassungsschutz keine vorauseilenden Wertungen abzugeben, sondern allenfalls Amtshilfe zu leisten. Intern, auf Anfrage.

Zweiter »Formfehler«: Wenn Maaßen wesentliche Erkenntnisse zu politisch bedeutsamen Vorgängen - wozu Chemnitz zweifelsohne gehört - vorliegen, die das Regierungshandeln betreffen, dann gibt es die Pflicht, die bei den wöchentlichen Treffen der Geheimdienstchefs im Kanzleramt vorzubringen oder sie - vermittelt über das zuständige Regierungsressort - umgehend »nach oben« zu leiten. Regierungssprecher Steffen Seibert bestätigte aber, es habe zu Chemnitz »kein Gespräch der Bundeskanzlerin mit Herrn Maaßen in den letzten Tagen gegeben«. So bleibt die Erkenntnis, dass sich ein deutscher Geheimdienstchef öffentlich und mit einer bisher nicht riskierten Dreistigkeit gegen die Kanzlerin gestellt hat. Maaßen widersprach nicht nur deutlich der Einschätzung von Merkels Regierungssprecher Seibert. Die Kanzlerin selbst hatte früh und öffentlich nicht nur die tödliche Attacke auf einen 35-Jährigen verurteilt, sondern auch die folgenden »Hetzjagden« scharf kritisiert.

Der Verfassungsschutzchef ist kein politischer Selbstmörder. Er ist ein höchst ambitionierter Karrierist, der mit Lust Strippen zieht. Sicher hat Maaßen Rückendeckung zumindest im Bundesinnenministerium von Horst Seehofer (CSU). In dessen Ministerium waren die »Zweifel an der Authentizität von Informationen aus Chemnitz« bekannt. Man habe deshalb »um Bericht gebeten«. Doch Maaßen ist zu clever, um sich nur auf den Schutz eines störrischen Alten zu verlassen, dessen politische Tage auch als CSU-Chef gezählt sind. Wer steht noch hinter dem »Putschisten«? Gibt es da so einen Hauch von »tiefem Staat«?

Nie hat der Maaßen einen Hehl aus seiner durch und durch konservativen Sicht der Dinge und auf die amtierende Politik gemacht. Der jetzt gezeigte Vertrauensbruch wäre ein ausreichender Grund für die Entlassung des Geheimdienstchefs. Und es gibt weitere, die dazu angetan sind, sich um einen neuen Chef für das Bundesamt für Verfassungsschutz zu kümmern. Taufrisch und noch lange nicht aufgearbeitet sind seltsame Pannen bei der Beobachtung des späteren Weihnachtsmarktattentäters Anis Amri. Noch immer nicht aufgeklärt sind Maaßens Treffen mit Leuten aus der AfD-Spitze. Parlamentarier erinnern sich daran, wie arrogant der Mann mit dem Nasenfahrrad Untersuchungsausschüsse »abgebügelt« und dabei versucht hat, Fehler im eigenen Haus zu beschönigen. Die sind beispielsweise bei der Aufklärung der NSU-Verbrechen unter seiner Verantwortung ausreichend gemacht worden. Beschönigt hat Maaßen auch immer wieder Gesetzesbrüche, die auch seine Behörde bei der Kooperation mit der US-amerikanischen NSA gemacht hat.

Schon einmal wurde im im Kanzleramt klar gemacht, dass seine Amtszeit über Nacht beendet werden könne. Das war 2016. Da hatte Maaßen sich über Merkels Flüchtlingspolitik hergemacht. Warum handelt die Kanzlerin jetzt nicht? Weil ihr mehr denn je die Hände gebunden sind. Auch formal. Den längst fälligen Rauswurf des Chefagenten müsste Maaßens Vorgesetzter verkünden. Aber Seehofer stellt sich hinter »seinen« Mann. Und damit voller Absicht erneut gegen die Kanzlerin. Merkel müsste also erst ihren Minister und CSU-Chef Seehofer in die Wüste schicken, bevor es für Maaßen eng werden kann. Doch so sehr sie sich den Abgang Seehofers auch wünschen mag, vor der nahen und für die CSU ohnehin brisanten Bayernwahl muss sie sich diese Freude versagen.

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