nd-aktuell.de / 10.09.2018 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Schiffbau-Boom ohne Nachwuchs

IG Metall fordert mehr Ausbildungsplätze statt Leih- und Werkvertragsarbeit

Hermannus Pfeiffer, Hamburg

Nach flauen Krisenjahren spüren die Werften in Mecklenburg-Vorpommern wieder kräftigen Rückenwind. Die Zahl der Beschäftigten nahm innerhalb nur eines Jahres um 52 Prozent zu. Dies ergab die 27. Betriebsrätebefragung der IG Metall, die anlässlich der Schiffbaumesse SMM in Hamburg vorgestellt wurde. Zu den nun 3307 Stellen auf den Werften in Mecklenburg-Vorpommern kommen in dem Bundesland noch Abertausende Arbeitsplätze in Zulieferbetrieben hinzu.

»Möglich wurde dies erst durch den Kampf der Beschäftigten um den Erhalt der Werften«, sagte Meinhard Geiken, Bezirksleiter der IG Metall Küste, vor Journalisten in Hamburg. Einen Beitrag zur Job-Wende hat auch die Politik geleistet, vor allem die Landesregierungen in Schwerin unterstützten die Werften an der Ostsee über die Jahre mit mehreren hundert Millionen Euro. Der bundesweite Zuwachs der Beschäftigung in der Branche in diesem Jahr um 7,3 Prozent auf rund 16 900 Stellen fand laut der IG Metall vor allem in den MV- Werften in Rostock, Stralsund und Wismar statt. Diese waren Anfang 2016 von der malaysischen Genting-Gruppe übernommen worden. Das unter anderem im Tourismusgeschäft aktive Unternehmen will seine Kreuzfahrtflotte ausbauen.

Ende August wurde am Standort Stralsund der erste Schiffsneubau seit der Übernahme auf Kiel gelegt. Die eisbrechende Jacht »Crystal Endea-vor« kann bis zu 200 Passagiere aufnehmen. Zum Baubeginn war auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihren Wahlkreis gereist. Derweil wird in Wismar und Warnemünde ein Schiff der sogenannten Global Class geplant, das bislang größte je in Deutschland gebaute Kreuzfahrtschiff. Die Kiellegung soll in dieser Woche erfolgen.

Eigentlich könnten noch mehr Menschen im Schiffbau Arbeit finden, sagt Bernd Fischer, Stellvertretender Gesamtbetriebsratsvorsitzender der MV Werften GmbH. Doch es fehle nach der langen Durststrecke in der Branche an entsprechend ausgebildeten Fachkräften. »Aber Genting denkt an die Zukunft«, lobt Fischer. Vergangene Woche begrüßte das Unternehmen 105 Azubis und zwölf Dualstudenten als Nachwuchskräfte.

Auch an anderen Werftstandorten in Deutschland wird ausgebildet. So ist beim Branchenführer, der Meyer Werft in Papenburg (Niedersachsen), die Zahl der neuen Auszubildenden ebenfalls dreistellig. Doch insgesamt investieren die Schiffbauer trotz voller Auftragsbücher und Klagen über Personalknappheit zu wenig in den Nachwuchs, kritisiert Thorsten Ludwig von der Agentur für Struktur- und Personalentwicklung, die im Auftrag der Gewerkschaft die Betriebsräte von 39 Werften und 14 größeren Zulieferunternehmen befragt hat. »Mit 6,2 Prozent ist die Ausbildungsquote auf den niedrigsten Wert seit mehr als zehn Jahren gefallen.«

Auf den Werften und in der Zulieferindustrie arbeiten bundesweit rund 100 000 Menschen. Sorge bereitet der Gewerkschaft auch der weiterhin hohe Anteil an Leiharbeit. Mit einer Quote von zwölf Prozent an der Gesamtbeschäftigung liegt diese laut der Betriebsrätebefragung viermal so hoch wie im Durchschnitt der gesamten Wirtschaft.

Als »viel zu hoch« bezeichnet Gewerkschafter Geiken auch die Anzahl der Werkvertragsbeschäftigten auf einzelnen Werften. Im Schiffbau sind externe Arbeitnehmer traditionell durchaus üblich und werden von der IG Metall im bestimmten Umfang auch akzeptiert, wenn sie betriebsbedingte Beschäftigungsspitzen abdecken oder für Spezialanbieter arbeiten, die beispielsweise Kabinen in Jachten montieren. Doch dürfe das nicht zur Schwächung der Stammbelegschaft führen. »Wenn auf jeden Stammbeschäftigten ein Werkvertragsarbeiter kommt, stimmt etwas nicht«, warnt Geiken.

Die IG Metall befürchtet, dass viele Unternehmen in Deutschland so die Chancen verschlafen, die durch Digitalisierung und durch neue Umweltauflagen der Weltschifffahrtsorganisation IMO entstehen. Ähnliches war bei der »Weltleitmesse« der maritimen Industrie, die in diesem jahr 2289 Aussteller aus 69 Ländern und rund 50.000 Fachbesucher anlockte, übrigens auch von den Industrieverbänden VSM und VDMA zu hören.