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Zur Sprache bringen, was bisher nicht gesagt wurde

Das Maxim-Gorki-Theater eröffnete die neue Spielzeit mit zwei Stücken, die zur Me-Too-Debatte passen

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit zwei Inszenierungen zu erodierenden Geschlechterbeziehungen in krisenhafter Zeit eröffnete das Maxim-Gorki-Theater am vergangenen Freitag die neue Spielzeit: »You are not the hero of this story« von Suna Gürler und Yael Ronens »Yes but no«.

In den den letzten Spielzeiten hat Suna Gürler bereits mit Inszenierungen auf sich aufmerksam gemacht, die weibliche Selbstbehauptungsbemühungen ins Zentrum nahmen. In »Stören« (2016) sannen sieben weibliche Figuren über ihre Chancen nach, sich in einer männerdominierten Welt zu behaupten und am Ende rief eine 14jährige ihre Geschlechtsgenossinnen auf, »die Angst zu überwinden«. In »Papa liebt dich«, das im Februar Premiere hatte, berichteten fünf Frauen Bericht über erlittenes Unrecht und verschmolzen zu einem kollektiven Ich.

In Gürlers neuester, nun uraufgeführten Arbeit haben vier Frauen einen Widerpart - das Urbild des Mannes: Adam. Er wurde von einer Jury zum Hauptdarsteller gecastet und hat laut Vertrag den Auftrag, einen erfolgreichen Mann zu geben. Doch dieser Vorgabe widersetzt er sich. Er will die Figur komplex angehen, gleichzeitig Täter und Opfer sein. Durch die Me-Too-Debatte wird er aus der Bahn geworfen, weiß nicht mehr, wo er herkommt und wagt es nicht, sich zu verlieben. Er empört sich über Künstler wie Ulrich Tukur oder Michael Haneke und über Politiker wie Gregor Gysi, wenn sie der Me-Too-Bewegung beipflichten. Er protestiert gegen die Behauptung, patriarchale Prägung hätte Unglück über die Welt gebracht. Am Ende klingelt der Wecker - alles erweist sich als Versuchanordnung.

Suna Gürler zeigt diesen Adam in verschiedener Gestalt. Er erscheint in solistischer und chorischer Prägung; ganze Passagen seines Textes sind aus dem Off zu hören. Der Kampf zwischen der Hauptfigur und den Nebenfiguren wird zum tragenden Konflikt. Eine Darstellerin wird zur Hauptfigur ernannt und tänzelt eitel auf der Schräge, die den ganzen Bühnenraum einnimmt. Eine andere drängt sich vor und behauptet, die ideale Besetzung der Hauptfigur zu sein. Eine dritte pocht auf ihren Vertrag und rät den anderen, das gleiche zu tun. Später wird diese Darstellerin (Mareike Beykirch) in einem hysterischen Wutanfall, erregt mit dem Stuhl auf der Schräge hin und her rutschend, die Denunzierung der männlichen Rolle in der Geschichte attackieren. Gegen Ende hin geben alle diese Adams scheinbar auf, erstarren am Boden der Schräge, um überraschend wieder aufzusehen und den Kampf anzunehmen, Das alles wird schweißtreibend und mit übergroßem stimmlichen und körperlichen Aufwand gespielt - gefühlte hundert mal robben, kriechen, hetzen die Spieler die steile Schräge hinauf und hinunter. 70 Minuten Dauerschrei und Daueranstrengung führen letztlich zu Leerlauf und Gleichförmigkeit.

Als eine Meisterin der szenisch- rhythmischen Komposition erweist sich dagegen Yael Ronen, die mit ihrer Inszenierung von »Yes but no« totale Ehrlichkeit anstrebt und Dinge zur Sprache bringen will, die bisher »nicht gesagt« wurden. Sie findet die Balance zwischen Aufschrei und Stille, wischen Bekundungen von Freude und Schmerz. Auf den unaufgeregten Bericht folgt der hemmungslose Wutausbruch. Es gibt das gleichnishafte Lied, die sachliche Publikumsbefragung oder die mit hauchzarter Erotik gespielte Verabredung zum Sex.

Auch Me-Too kommt vor, die stärkste Szene des Abends knüpft daran ab: Eben noch versagte Swenja Liesau die Stimme, als ihre Vergewaltigung durch Klassenkameraden schilderte, da stürzt sie plötzlich in einen Tobsuchtsanfall und zerstört das Mobiliar. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, sie triumphiert: »endlich«. Endlich sollen durch Me-Too die Vergewaltiger aus den Chefetagen benannt und bestraft werden. Dieser Hoffnung aber folgt der Katzenjammer mit der Fassungslosigkeit darüber, dass keiner von denen verurteilt worden ist.

Eine kunstvolle Montage ist die Szene, wenn Lindy Larsson seinem Bericht über seine Vergewaltigung durch eine ältere Frau in einem apathischen »ich habe es gelöscht« enden lässt, um dann unvermittelt diesen Satz zum Refrain eines aggressiven Liedes zu machen.

Begonnen hatte es ganz unspektakulär. Die Schauspieler verwiesen darauf, dass ihr Theater bisher die Konflikte der Welt ins Visier genommen habe, nun aber Visionen auf die Bühne bringen will. Eine dieser Visionen sei die Kultur des Einverständnisses, des Einverständnisses im Bett und in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Diese Vision greift der Schauspieler Taner Sahintürk auf, wenn er verkündet, in Zukunft nicht mehr der »harte Macker« sein zu wollen, sondern Körper und Seele seiner Partnerin entdecken möchte.

Dann singt er zusammen mit dem Ensemble und dem Publikum frohgemut ein Aufmunterungslied: »Öffnet Eure Herzen und vertreibt die Angst«. Damit ist die Hoffnung des Ensembles auf die »Kultur des Einverständnisses« erfüllt.

Nächste Vorstellungen:»You are not the hero of this story« 13.9., 14.9., 6.10.; »Yes but no« 13.9., 28.9.,5.10.

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