Alles nur Ficktion

»Über Tiere« von Elfriede Jelinek am Deutschen Theater Berlin

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
Sie kommen. Näher. Sie kriechen wie Fleisch fressende Killerwesen. Je mehr man ihren Bewegungen zusieht, desto fremder, furchteinflößender wirken sie. Dabei sind es nur Frauenlippen, rot geschminkt, sprechend, lockend, als ein bewegtes Bild auf die Brandmauer, auf den Bühnenboden geworfen. Der Mann, der sich ihnen nähert, wird verschlungen. Später hüpfen zwei Männer herum, ein jeder wie ein aufgeregter Penis, Mineralwasser aus dem Mund spritzend, dann in sich zusammenfallend, bis eine Frau sie wieder auf strammen Vordermann bringt. An Tischen lesen drei Frauen aus Protokollen. Oder sie posieren in der Rolle der Fleischverkäuferinnen auf dem Frauenviehmarkt. Zwei Männer reden, in der Kopie von Olli Dietrichs »Ditsche«, über ihre Warenwünsche auf diesem Markt. In einer Collage von Spiel, Video, grotesker Überdrehung und bohrendem, wahnschreiendem Monolog hat Nicolas Stemann in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Elfriede Jelineks neues Stück »Über Tiere« inszeniert; es ist die deutsche Erstaufführung.   Im Jahre 2005 erschienen in der Wiener Stadtzeitung »Falter« Abhörprotokolle einer Wiener Callgirl-Agentur. Ein Dokument der doppelten Aufklärung: über den Zustand einer Gesellschaft, in der ein Anwalt tagsüber die Ansprüche von jüdischen Holocaust-Opfern vertritt, um nachts junges Fleisch aus dem Osten zu kaufen, und zum anderen über eine Verquickung von Information und Voyeurismus, von Enthüllung und gleichzeitig Zuarbeit für den medialen Sektor dieses gigantischen Fleischmarktes. Die Protokolle als Parallelerzeuger von Ekel und Geilheit. Die Jelinek entwickelt daraus einen verschlungenen Text gewohnter brachialer moralischer Bloßlegungen. Ein Comic der perversen Verirrungen. Ein Schrei ins Perfide hinein, das hinter bürgerlichen Fassaden die Urmuster der Sklaverei fortsetzt. Das 21. Jahrhundert trifft sich im Schwüllicht der roten Bezirke mit den Frühjahren der Entseelung, als auch das Herz des Menschen nur rohes Fleisch war. Rohes Fleisch blieb.   Jelinek treibt dieses Elend der Entartung, die vor jedes Gefühl einen Kaufpreis setzt, auf eine Sprachspitze, in der sich das Brüllen der weiblichen Kreatur, dem Tier auf dem Markte, mit den kalten Kalkulationen und den Geschäftschiffren der Fleischprüfer verbindet. Liebe? »Warum etwas gratis nehmen, wenn man dafür bezahlen kann?« Es entfaltet sich eine Verderbtheit des Intimen, die Würde und Trieb, Liebe und Konsumtion unentwirrbar verknäult. Bis Würde und Liebe unauffindbar werden. »Ich«, das ist die Einbildung, die gleichsam nur in der Ficktion noch Wirklichkeit werden darf. Verzweiflung wird zur »größten Umweltverschmutzung«.   Nicolas Stemann gilt inzwischen als Jelinek-Spezialist der jüngeren Regie-Generation. Den  Expressionismus der Autorin bricht er auf, fast möchte man sagen: Er tut dies sehr geschickt, verwiese dieses Wort nicht zu vordergründig auf Handwerk, statt auf Geist. Das Sprachgitter der Jelinek fliegt in seinen Inszenierungen auf, der Einblick offenbart: Hier ist auch die Barbarei der schweigenden Mehrheit eingefangen. Die Erschütterung übers Abartige einer sogenannten Zivilordnung wird rasantes Rollenspiel, und der Sarkasmus kommt listig in Gestalt plumper Männerwitzelei, die jeden, der mitlacht, zum Komplizen der verklagten Welt herniederzerrt, ins Gemeine, Verachtende, Gewalttätige. Jelinek bindet die Auflösung, die Zerstörung des Menschlichen in Wort-Gewebe ein, die sich mit landläufigen Verstehensmustern des sprachlichen Flusses nicht mehr entflechten lassen. Jargon, Floskel, Metapher, Wortspiel, Bericht und Erzählung  durchdringen einander; Stemann knackt die verzweifelt aggressive Hermetik dieser Literatur - die nichts mehr fürchtet als Vereinnahmung durch schnurrendes Stadttheater, die also immer etwas anderes will statt dem Theater - mit einem szenischen Fantasieren auf, ohne den Text und seine geradezu musikalisch gesetzten Schleifen  zu verharmlosen. Nora von Waldstätten, Almut Zilcher, Regine Zimmermann, Ingo Hülsmann und Sebastian Rudolph: schlangenhaftes Ausstellen, kokette Lieblichkeit auf Befehl, herbe Nüchternheit, dumpfes Auftrumpfen, verhuschte Spießerplusterei - Stemanns Schauspieler sind vor allem grelle Komiker des Plakats, die alles, was an Schmerzen durchbrechen, was aus verratener, aus nie erlebter, aus unterdrückter Liebe hochkommen will, im Kraftfeld ihres hochgetriebenem Motors ersticken. Quick und qualvoll. So bleibt der kurze Abend gewollt und gekonnt unliebsam; so spielt man sich nicht in die Zuneigung zum Publikum, so werden eher Rechnungen präsentiert. Margit Bendokat setzt den monologischen Merkpunkt: Diese Schauspielerin, die ihre Stimme aus jenem fernen Ziehen, das seine Lust auf Nervensägeschärfe nie verleugnet, ins grell Sirenische hochjagen kann - sie steht da, im schwarzweiß gesprenkelten Kleid, so ganz wunderbar unschön gegen die bis zur Pein reizende, beinspreizende Glitterwelt gesetzt, und sie erzählt mit der bitteren Heiterkeit des endgültigen ...

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