nd-aktuell.de / 17.09.2018 / Berlin / Seite 11

Behörde verweigert weiter Ausweise

Viele anerkannte Asylberechtigte bekommen keine elektronische Aufenthaltserlaubnis - obwohl sie ein Recht darauf haben

Marina Mai

Die Ausländerbehörde erteilt anerkannten Asylberechtigten nicht die ihnen zustehende Aufenthaltserlaubnis. Stattdessen bekommen sie Zettel, auf denen steht, dass sie als Asylberechtigte anerkannt sind. Der Flüchtlingsrat hatte diesen Missstand bereits vor eineinhalb Jahren angeprangert. »Durch die fehlende Aufenthaltserlaubnis wird der Zugang zu Arbeit und Ausbildung, zu Wohnung und Familiennachzug, zu Reisefreiheit, sozialer und gesellschaftlicher Teilhabe massiv erschwert«, schrieb er damals und forderte Innensenator Andreas Geisel (SPD) auf, die aus Sicht des Flüchtlingsrates rechtswidrige Praxis sofort einzustellen.

Geändert hat sich die Behördenpraxis seitdem indes nicht. Geändert hat sich aber die Situation vieler Betroffener. Der Iraker Anas A. zum Beispiel muss sich seit fast drei Jahren mit einem A4-Blatt ausweisen. »Ich bin Single und suche dringend ein WG-Zimmer«, sagt er dem »nd«. »Schon mehrmals war ich mir mit einer WG einig, dass ich einziehe. Aber als sie meinen Ausweis sehen wollten, haben sie abgewunken, weil sie Angst hatten, sie machen etwas Unerlaubtes, wenn sie mich aufnehmen«, sagt der 25-jährige Mann. Auch die Suche nach einem Ausbildungsplatz hatte sich bei ihm wegen des fehlenden Ausweises schwierig gestaltet. »Mein Chef hat erst bei der Handwerkskammer Rat eingeholt. Dort hatte man ihm erklärt, dass er mich ausbilden darf, obwohl ich keinen Ausweis habe, sondern nur einen Zettel.«

So ein Missverständnis gab es auch bei dem Eritreer Kiflom M. bei der Sparkasse. Der Asylberechtigte, der längst Arbeit hat, beantragte einen Dispokredit. Der wurde ihm verwehrt. Begründung: Den gäbe es nur, wenn man eine elektronische Aufenthaltserlaubnis hat. Das ist eine Chipkarte, vergleichbar mit einem Personalausweis.

Kiflom M. hat zwar anders als Anas A. eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, allerdings nur in Papierform. Auf eine Presseanfrage des »nd« erklärte ein Sprecher der Sparkasse die Auskunft als ein Missverständnis. Er sagt: »Wir haben uns den konkreten Fall noch einmal angesehen und sind noch einmal auf den Kunden zugegangen.«

Eine Sprecherin der Berliner Innenverwaltung, zu der die Ausländerbehörde gehört, sagt gegenüber »nd«, grundsätzlich würden anerkannte Asylberechtigte eine elektronische Aufenthaltserlaubnis erhalten. Es gäbe aber Ausnahmen, und zwar dann, wenn die vorgelegten Dokumente aus dem Heimatland Fälschungsmerkmale aufweisen würden. Dann gäbe es nur einen Zettel. Der »bescheinigt das Recht auf Erwerbstätigkeit und ist 15 Monate gültig«. Die Ausländerbehörde würde in dieser Zeit prüfen, ob die Papiere aus dem Heimatland tatsächlich gefälscht seien.

Der Rechtsanwalt Björn Cziersky-Reis, der viele anerkannte Asylberechtigte aus Syrien vertritt, hat andere Erfahrungen gemacht. »Wenn ein Mandant Asyl erhalten hat und nicht die elektronische Aufenthaltserlaubnis bekommen hat, die ihm zustehen würde, schreibe ich die Ausländerbehörde an und drohe mit einer Untätigkeitsklage«, sagt er. »Die Ausländerbehörde reagiert auf meine Schreiben sehr schnell und stellt in über 90 Prozent der Fälle die elektronische Aufenthaltserlaubnis aus. Sie weiß also, dass sie Unrecht tut.« In einigen wenigen Fällen würde die Ausländerbehörde allerdings den Flüchtling anzeigen, weil die Papiere aus Syrien ihrer Meinung den Anschein einer Fälschung machten. »Oder sie behauptet, die Ausweise stammten aus Beständen im vom IS eroberten Gebieten und zweifelt damit die Rechtmäßigkeit an«, berichtet der Anwalt. »Meine Mandanten haben danach aber nicht gefragt. Sie waren froh, überhaupt einen Ausweis zu bekommen.«

Der Anwalt sagt, er hätte nichts dagegen, dass Behörden Dokumente auf ihre Echtheit prüfen. »Aber sie dürfen darum Menschen nicht über Monate oder Jahre ohne Ausweis lassen. Der Ausweis kann nachträglich entzogen werden, wenn sich der Verdacht im Einzelfall bestätigen sollte.« Die Nachteile, die seine Mandanten durch die fehlenden Ausweise hätten, bezögen sich auf die Arbeits- und Wohnungssuche aber auch auf Alltagsprobleme. »Ein Mandant hat eine Lebensgefährtin, die ein Studium in einem EU-Land aufgenommen hat. Ohne Ausweis darf er sie dort nicht besuchen.«