Eine Autorin in der Kaserne

18. Internationales Literaturfestival Berlin: Ein Treffen mit der iranischen Schriftstellerin Fariba Vafi

Die junge Iranerin träumt davon, Schriftstellerin zu werden, bewirbt sich aber erstmals bei einer Polizeiakademie. Davon handelt der bekannteste Roman der iranischen Schriftstellerin Fariba Vafi. Das Buch heißt »Tarlan« und erzählt von einer gleichnamigen Frau. Für diesen Roman, der auch ins Deutsche übersetzt wurde, bekam die Autorin im Jahr 2017 den »LiBeraturpreis«, eine Auszeichnung, die mittlerweile unter der Leitung der Frankfurter Buchmesse vergeben wird. Im Rahmen des 18. Internationalen Literaturfestivals war Fariba Vafi in Berlin zu Gast, wobei sie Passagen aus »Tarlan« und aus dem Roman »Der Traum von Tibet« las, der neu auf dem deutschen Buchmarkt erschienen ist. Anlässlich ihres Berlin-Besuchs hat »nd« mit ihr gesprochen.

Fariba Vafi ist im Jahr 1963 in Tabriz, einer Stadt im Nordwesten Irans, geboren, wohnt aber heute in Teheran. Schon als Jugendliche hat sie Geschichten für einige Zeitschriften geschrieben. Auch ihre Romanfigur Tarlan möchte es mit dem Schreiben probieren. Der Roman spielt in der Zeit kurz nach der Islamischen Revolution (1979) in Iran. Tarlan, die in einer mittelständischen Familie geboren wurde und »einen normalen Vater, eine noch normalere Mutter« hatte, ist auf der Suche nach einem anderen Leben. »In ihrer Fantasie … streifte sie an Maxim Gorkis Seite durch Dreck und Elend im Untergrund. In ihren kühnsten Träumen aber folgte sie Tschechow«, heißt es im Buch. Und auf einmal entschließt sie sich, Polizistin zu werden. Nach dem Motto: »Lebe erst, schreibe dann«.

Das Frauen-Polizei-Internat ist jedoch monoton und repressiv. Das sei ein kleiner geschlossener Raum gewesen, der aber die damalige iranische Gesellschaft repräsentieren konnte, sagt Vafi im nd-Gespräch. Aus diesem strengen Alltag flieht Tarlan dann in die Welt der Literatur, dabei erinnert sie sich an den Satz eines Lehrers: »Der Mensch nimmt Gestalt an, indem er schreibt. Er kommt ans Licht. Und wird frei«. Als sie dann fragte: »Frei wovon?«, gab es keine Antwort vonseiten des Lehrers.

Die Antwort gibt aber Fariba Vafi: »Frei vom definitiven Schicksal«, sagt sie und betont, dass das Schreiben ihr selbst eine seelische Freiheit gebe und sie zu dem Menschen mache, der nicht ständig von einer bestimmten Situation beherrscht werde.

Wenn ein Roman internationale Aufmerksamkeit erhält, repräsentiert er auch sein Herkunftsland. Diese Rolle sei Vafi wichtig, sagt sie, »aber sie ist mir erst später bewusst geworden. Man lässt meine Werke im Ausland übersetzten, weil ich ein anderes Bild der iranischen Gesellschaft präsentiere, ein anderes als das in den Berichterstattungen«. Ihre Romanfiguren sind Frauen, die weder Helden noch Klischees sind. Sie könnte man in den Straßen Teherans treffen. Vafi schildert den Alltag dieser Frauen mit all seinen Widersprüchen. »Bei den Lesungen in verschiedenen Ländern waren viele überrascht, dass diese Frau (im Roman) beispielsweise auch in Italien leben könnte«, erklärt Vafi, »sie haben eher Gemeinsamkeiten gefunden«.

Tarlan trifft sich einmal mit einer »weisen Frau«, um ihr ihre Schreibproben zu zeigen. Bei der Lektüre der Texte rät diese Frau ihr jedoch dazu, das Internat zu verlassen. »Die Zeiten, in denen die Schriftsteller ihre Geschichten aus Armut, Unglück oder gar aus dem Wahnsinn geschöpft haben, sind vorbei«, sagt die weise Frau und fügt hinzu, dass auch die Zeit Gorkis vorbei ist, der von den armen Leuten lernte und seinen autobiografischen Roman »Meine Universitäten« schrieb. Heutzutage sollte man »Lehrgänge des kreativen Schreibens« absolvieren, um Schriftsteller zu werden.

Ob Vafi selbst solche Kurse besucht hat? »Nein, bei mir war es wie bei Gorki!«, sagt die Autorin und lacht. »Die Lebenserfahrung ist für das Schreiben zwar immer noch wichtig, aber es ist kein Muss. Für viele sind die Inspirationsquellen, ihre Fantasien, die Erfahrungen anderer Menschen, andere Bücher oder die virtuelle Welt«.

In ihren Romanen spielen biografische Elemente eine Rolle. Sie schreibe das, was sie kenne, sagt Vafi. Ihre Biografie wurde auch bei der Festival-Lesung zum Thema gemacht, als der Moderator Stefan Weidner im Haus der Berliner Festspiele sie fragte, ob sie selber diese Art Internat wie im Buch »Tarlan« erlebt habe. »Ja«, antwortete Vafi kurz und prägnant. Es herrschte ein paar Sekunden überraschtes Schweigen, dann fragte er noch einmal und dieses Mal genauer, ob sie Polizistin werden wollte. Fariba Vafi: »Nein, ich wollte Schriftstellerin werden«.

Auf Deutsch erschienen von Fariba Vafi bislang: »Der Traum von Tibet«, »Tarlan«, beide im Sujet Verlag, sowie »Kellervogel« im Rotbuch Verlag.

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