Im Königreich des Sandes

Najem Wali, der in berlin lebende irakische Autor schreibt in »Saras Stunde« über eine mutige junge Frau aus Saudi-Arabien

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Liebe hat keinen Platz in diesem Land … die Liebe in unserer Heimat ist ein Friedhof der Liebenden. Das sagt Sara im Roman zu Tariq, dem engen Freund ihres Cousins Nassir. Sara ist eine mutige junge Frau in Saudi Arabien, die zu der Generation gehört, die aufzubegehren beginnt. Aber Sara ist vor allem »eine gejagte Frau ..., eine Frau im permanenten Kriegszustand, die im Königreich des Staubs nicht einen Augenblick frei atmen kann, die nirgendwo Sicherheit oder Geborgenheit findet. Das Einzige, dessen sie sich sicher sein kann, ist, dass eines Tages einer kommen wird, um die Geschichte (ihre Geschichte) zu voll-enden.« Und derjenige, der ihre Geschichte vollendet, ist kein anderer als ein Alter Ego des Autors mit Namen Harun Wali. Aber natürlich ist es der Autor Najem Wali selbst, der die Geschichte von »Saras Stunde«, von »Saras Sünde« und vom »Ende der Sünde« (so Kapitelüberschriften) berichtet. Das klingt befremdlich, ist aber nur so kompliziert wie die Geschichte dieser Sara, von der wir erfahren, wie sie begann, wie sie verlief und dass sie als ein Leben ewiger Fluchten endete.

Der in Berlin lebende irakische Schriftsteller Najem Wali ist ein großer Erzähler, er spielt mitunter mit Absurditäten, Spiegelbildern und Spiegelfiguren, was auch diesen Roman so spannend macht, doch die Aussage ist eindeutig, unentwegt webt er an dem dunklen Flickenteppich der Verwüstungen im Vorderen Orient während der Golfkriege und deren Folgen.

Dieser Roman ist den Frauen in Saudi-Arabien »mit ihrem zerbrechlichen Körper aus Glas« gewidmet, die »gegen eine Mauer aus Stein« anrennen. Sara ist eine von ihnen, aber eine ganz besondere, schon von Geburt an. Geboren am 22. September 1980, also an dem Tag, als der Iran-Irak-Krieg ausbricht, ist sie - anders als alle älteren Geschwister - für ihren Vater, den reichen Ghazi al-Djaassi, »die reinste Freude«, nämlich eine Glücksbringerin. Ghazi arbeitet als Versorger für die amerikanischen Truppen, und er schließt an diesem Tag den größten Ausrüstungs- und Versorgungsvertrag seines Lebens ab. Der Krieg wird lange dauern und seinen Reichtum vermehren. Aber, nehmen wir es vorweg, sein Glück wird in diesen Zeiten nicht andauern. Es wird sich in Unglück verwandeln.

Beginnen wir wie der Autor mit dem Ende der Geschichte! Sara, Mitte zwanzig und vor Kurzem aus London zurückgekehrt, gelingt es, unerkannt in das luxuriöse Fünf-Sterne-Krankenhaus des saudischen Königs zu gelangen und bis ans Bett ihres Onkels Scheich Jussuf al-Ahmad vorzudringen. Dieser Onkel ist Chef der »Behörde für die Verbreitung der Tugendhaftigkeit und für die Verhinderung von Lastern« gewesen. Nun liegt er im Koma, sein letztes Stündchen hat geschlagen, und Sara hat es in der Hand, es vorzeitig und unverzüglich zu beenden. Die Stunde der Rache ist endlich gekommen.

Dieser Scheich war ein fanatischer Salafist, er hatte zum Heiligen Krieg aufgerufen und junge Mädchen an Dschihadisten vermittelt. Sara hatte er das ganze Leben zerstört. Er hatte dafür gesorgt, dass sie von der Grundschule verwiesen wurde, hatte ihre Freundschaft mit der klugen Alhanuf und deren Familie kaputt gemacht. Als sich eine zarte Liebesgeschichte zwischen ihr und einem jungen Kunsthandwerker anbahnte, zwang er sie unter Duldung ihres Vaters in eine Ehe mit seinem ungeliebten schwulen Sohn Nassir.

Die beiden müssen fliehen. Zusammen mit Tariq verbringen sie aufgrund ihrer reichen Herkunft ein paar relativ gute Jahre in London, aber nach dem 11. September nimmt die Zeit dort ein jähes Ende. Sara kehrt aus der Verbannung nach Saudi-Arabien zurück. Die Geschichte vollendet sich dort, wie sie begonnen hat, mit »Saras Sünde«, oder, je nach Draufsicht, mit dem »Ende von Saras Sünde«.

In dieser Geschichte ist der (vorweggenommene) Tod allgegenwärtig, er schwebt über Saras Leben wie ein Damoklesschwert. Von Najem Wali gibt es einen Essay mit dem Untertitel »Töten mit und ohne Gott«. Gewalt und Terror treiben ihn um, Täter und Opfer sind gleichermaßen in seinem Blickfeld. Wenn er hier Saudi-Arabien unter die Lupe nimmt, dann fördert er auch die Absurditäten und die Scheinheiligkeit der reichen Oberschicht dieses Landes zutage, das erst vor Kurzem die Religionspolizei abgeschafft hat. Seine Hoffnung gilt der jungen Generation, sein Blick richtet sich in besonderer Weise auf die Liebe und das Leben der Frauen.

Najem Wali: Saras Stunde. Roman. Aus dem Arabischen von Markus Lemke. Carl Hanser Verlag, 350 S., geb., 23 €.

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