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Leichte Korrektur der Agenda 2010

Das Bundeskabinett einigt sich auf einen erleichterten Zugang zum Arbeitslosengeld I

  • Alina Leimbach
  • Lesedauer: 4 Min.

Es war damals das Kernziel der Arbeitsmarktreformen des seinerzeitigen SPD-Kanzlers Gerhard Schröder: Möglichst schnell Erwerbslose in den nächstbesten Job bringen. Neben Hartz IV wurde eine Einschränkung des potenziellen Arbeitslosengeldempfängerkreises beschlossen. Das Ziel: Druck, Druck, Druck.

Denn wer Arbeitslosengeld bekommt, hat weniger Stress vom Jobcenter, muss zudem unter Umständen nicht an sein Erspartes und nicht jeden Job annehmen, den der Berater für zumutbar hält. In der Zeit des ALG-I-Bezugs können sich Erwerbslose in Ruhe der Jobsuche widmen und zielgerichtete Qualifizierungsmaßnahmen besuchen.

Am Mittwoch nun hat sich das Bundeskabinett auf einen Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministers Hubertus Heil (SPD) geeinigt, der eine leichte Lockerung in dieser Hinsicht vorsieht. Arbeitslosengeldanspruch soll planmäßig ab 2020 jeder haben, der binnen zweieinhalb Jahren zwölf Monate lang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat. Nach Einführung der Hartz-Gesetze musste dieser Anspruch von zwölf Beitragsmonaten in nur zwei Jahren angesammelt werden. Damit haben Beschäftigte ab 2020 wohl ein halbes Jahr mehr Zeit, um auf diese zwölf Monate zu kommen. Vor der Hartz-Reform genügten zehn Monate Einzahlung in drei Jahren.

Das Ganze ist Teil eines größeren Vorhabens, des »Gesetzes zur Stärkung der Chancen für Qualifizierung und für mehr Schutz in der Arbeitslosenversicherung«, bei denen auch der Anspruch auf eine Weiterbildungsberatung durch die Arbeitsagentur festgehalten ist. Dazu will das Gesetz auch Weiterbildungsangebote für Beschäftigte, die vom Strukturwandel bedroht sind, durch die Arbeitsagentur ermöglichen.

Zum leichteren Zugang zum Arbeitslosengeld hatte Arbeitsminister Hubertus Heil bei der Vorstellung des Vorhabens im Mai gesagt: »Man muss sich das vorstellen als eine Art Notwendigkeit, weil in Zeiten des Strukturwandels der Arbeit die Kurzzeitbeschäftigung zunimmt. Aber auch als Frage der Gerechtigkeit. Schließlich zahlen diese Menschen in die Versicherung ein, ohne dass sie dafür eine Leistung bekommen.«

Allerdings schätzen Experten die Wirkung des nun vorgestellten Gesetzes als nicht besonders groß ein: »Auf zwölf Monate Beitragszahlung muss man erst einmal kommen«, sagte der DIW-Arbeitsmarktexperte Karl Brenke dem »neuen deutschland«. Er vermute, dass das Gesetz keine großen Auswirkungen auf den Empfängerkreis haben wird. Auch der DGB hat einmal nachgerechnet und kommt in einer Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass rund 50 000 Beschäftigte von der Änderung profitieren könnten. Zum Vergleich: Derzeit gibt es mehr als vier Millionen Hartz-IV-Empfänger, die von der Bundesagentur für Arbeit als »erwerbsfähig« eingestuft werden. Allerdings: Eigentlich hatte Hubertus Heil angekündigt, den alten Prä-Hartz-IV-Standard wieder einzuführen. In drei Jahren, so der ursprüngliche Plan, sollten zehn Monate Beschäftigung für einen Anspruch auf ALG I genügen.

Der DGB fordert, den Zeitraum, in dem Beschäftigungszeiten gesammelt werden können, wie ursprünglich von Hubertus Heil angepeilt, auf drei Jahre auszuweiten und die geforderte Mindestbeschäftigungszeit auf zehn Monate abzusenken. »Dadurch würden rund 100 000 Arbeitslose, die heute direkt ins Hartz-IV-System durchgereicht werden, ein Anspruch auf Arbeitslosengeld erhalten«, heißt es in einer Stellungnahme. Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der LINKEN im Bundestag, Sabine Zimmermann, fordert gar vier Monate binnen drei Jahren Einzahlungszeit. »Nur so können wir auch Kurz- und Projektbeschäftigten den Zugang zum ALG I ermöglichen.«

Auch die Teile zum Thema Qualifizierung gehen Arbeitsmarktexpertin Zimmermann nicht weit genug: »Prinzipiell ist das begrüßenswert. Das Problem ist aber, dass es immer noch Kann-Leistungen sind.« Es müsse stattdessen ein Recht auf Weiterbildung geben, »gerade angesichts des Strukturwandels ist es wichtig, dass man dieses Recht auch einfordern kann als Person«. Einen anderen wichtigen Punkt habe Hubertus Heil zudem in seinem neuen Gesetz ganz vergessen: »Weiterbildungen sind schön und gut. Aber danach haben Arbeitslosengeld-I-Empfänger*innen derzeit nur vier Wochen Zeit einen Job zu finden, ehe sie in Hartz IV rutschen. In so kurzer Zeit ist es unrealistisch, einen neuen Job auf dem Niveau ihrer neuen Qualifizierung zu finden«, sagte sie dem »nd«.

Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung soll im Gegenzug zum Jahreswechsel von derzeit 3,0 Prozent um 0,5 Prozentpunkte sinken. Damit geht die Senkung über die 0,3 Punkte Senkung hinaus, die geplant waren. Nach Einschätzung von Beobachtern hat sich Heil damit die niedrigere Schwelle zum ALG-I-Bezug ertauscht. »Das ist ein reines Geschenk an die Wirtschaft. Die Beschäftigten werden davon wenig im Portemonnaie spüren, die Betriebe allerdings schon«, kritisierte Zimmermann.

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