Kampf um die Arbeiterviertel

Florian von Brunn versucht, im Münchner Wahlkreis 103 für die SPD zu punkten. Aber auch in ihren einstigen Hochburgen hat die Partei Probleme

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 5 Min.

Zusammen mit ehrenamtlichen Helfern steht der SPD-Bundestagsabgeordnete Florian von Brunn an einem Infostand vor der Tela-Post in München-Giesing und verteilt Flyer an Passanten. »Verheiratet, zwei Kinder, lebt in Sendling« ist darauf über den 49-Jährigen zu lesen, und dass er für Mieter-, Umwelt- und Verbraucherschutz eintritt.

Es ist Wahlkampf, und von Brunn tritt im Wahlkreis 103 erneut als Kandidat für den Landtag an. »Giesing ist eher ein hartes Pflaster«, sagt er, während er versucht, die Flyer an die Frau und den Mann zu bringen. Die meisten gehen freilich vorbei, keine Zeit, man muss einkaufen oder andere wichtige Dinge erledigen. Ab und zu bleiben die Vorüberhastenden stehen und der Umweltexperte versucht, in einem kurzen Gespräch seine Argumente anzubringen.

Giesing und Sendling sind Arbeiterviertel und damit eigentlich traditionell SPD-Terrain. Doch die Zeiten und die Wählergunst haben sich geändert, bei elf Prozent sehen jüngste Umfragen die bayerische SPD.

Szenenwechsel nach Sendling. Hier dominieren noch immer die wuchtigen Wohnblocks der Genossenschaften. Lange lag der Stadtteil ein wenig abseits des geschäftigen München. Das Büro des Landtagsabgeordneten liegt in der Daiserstraße, im Besprechungsraum steht ein großer Tisch mit Stühlen, der Blick aus dem Bürofenster geht auf den grünen Hof der Genossenschaftswohnanlage. Im Büro hängen Bilder von Willy Brandt und Che Guevera an der Wand.

Manchmal geht von Brunn quer über die Straße hinüber in das Café Kreislauf, um dort Mittag zu essen. Und gleich daneben liegt die »Sendlinger Kulturschmiede«, eine Art Urgestein einer Bürgerkultur von unten. Um sie kümmert sich seit vier Jahrzehnten Gabi Duschl, letztes Jahr hat sie allerdings den Vorsitz des Trägervereins abgegeben. Und seit fast 50 Jahren wohnt sie im Viertel, am Sendlinger Kirchplatz, den sie zusammen mit anderen in einem zähen Kampf sogar verkehrsberuhigt hat. Fragt man sie nach der SPD und ihrem Zustand, meint sie achselzuckend: »Was soll ich dazu sagen?« Klar ist für sie, dass ohne die Sozialdemokratie der Stadtteil anders aussehen würde, mit der SPD wurden etliche Projekte wie etwa die Straßenbegrünung durchgekämpft.

Unterstützt wird die Kulturschmiede, in der Lesungen, Filme, Ausstellungen und Diskussionen stattfinden, auch vom Bezirksausschuss 6 Sendling. Dort ist auch schon seit langer Zeit Ernst Dill dabei, seit vierzig Jahren gehört der 72-jährige Rechtsanwalt der SPD an und heute ist er stellvertretender Vorsitzender des Gremiums. In den 1990er Jahren hatte dort die SPD die absolute Mehrheit, doch das ist lange vorbei. Man habe sich immer für den Umweltschutz eingesetzt, sagt er, doch das sei den Grünen zugute gekommen. »Vielleicht hätten wir an den Straßen eher Rotbuchen pflanzen sollen«, scherzt er - damit die Bürger wüssten, von wem es komme. Fragt man den gestandenen Lokalpolitiker nach dem Zustand seiner Partei auf Bundes- und Landesebene, herrscht eher Ratlosigkeit. Blicke man auf Europa, sagt er, spricht einiges dafür, dass auch »die große alte Tante SPD eines Tages verschwindet.« Es gebe den sozialen Wandel im Viertel, dort galoppiere nach wie vor die Gentrifizierung: »Viel Handarbeiter haben wir nicht mehr, die Krawattenträger werden mehr.«

Auch Florian von Brunn sieht den Wandel, das Auftauchen von protzigen Geländewagen und teuren Eigentumswohnungen. Als Kandidat im Wahlkreis 103 erwartete er ein »hartes Rennen« um den ersten Platz, hat aber im Vergleich zu anderen SPD-Kandidaten und zur Landes-SPD eine gute Ausgangsposition: 31,8 Prozent holten die Sozialdemokraten bei der Landtagswahl 2013. Mittlerweile, sagt von Brunn, liege der CSU-Kandidat in Prognosen bei 20 Prozent, deshalb rechnet er sich durchaus eine Chance auf ein Direktmandat aus.

Dass dieser Wahlkampf etwas anders läuft als beim letzten Mal, hat etwas mit der AfD zu tun. Laut Umfragen wird die Partei mit einem zweistelligen Ergebnis in den Landtag einziehen und so die politischen Kräfteverhältnisse ändern. Das wird schon vor der Wahl deutlich. »Man merkt, dass Teile der Bevölkerung polarisiert sind«, erklärt von Brunn. Manche Wähler hätten sich »in Richtung AfD verabschiedet« und seien nicht mehr erreichbar: »Die Dauerhetze hat Spuren hinterlassen.«

Der SPD-Kandidat spürt das vor allem in Giesing, einem Arbeiterviertel, in dem auch noch Arbeiter wohnen. Vor kurzem hat er sich an die Staatsanwaltschaft gewandt, sie möge ein Video des AfD-Kandiaten Uli Henkel auf den Straftatbestand der Volksverhetzung hin prüfen, dort gehe es um rassistische Äußerungen gegenüber Afrikanern. »Die Politik muss sich ganz hart mit dieser Partei auseinandersetzen«, betont von Brunn und erinnert an die »Lehren von 1933«.

Er selbst setzt im Wahlkampf auf Umweltthemen, sein Spezialgebiet, auf mehr Lebensqualität in München, auf eine vernünftige Verkehrspolitik, auf soziale Themen wie Mieterschutz. Und wie sieht der Landtagsabgeordnete die Rolle seiner Partei auf Bundes- und Landesebene? »Ich wünschte, wir hätten den Mut, auch umstrittene Positionen zu verteidigen«, sagt er, »klar für andere einzutreten.« Manchmal ärgert er sich über die Parteispitze, dort fehlen ihm »Projekte und Visionen«. Zum Beispiel beim Thema ungerechte Vermögensverteilung.

Knapp vier Wochen sind es noch bis zur Landtagswahl, dann wird von Brunn wissen, ob er wieder in das Maximilianeum gewählt wurde. Bis dahin gilt es, noch viele Flyer zu verteilen und die Menschen im Wahlkreis 103 zu erreichen. Für die SPD jedenfalls, soviel ist sicher, wird dieser Urnengang kein leichter Weg.

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