Den Wolken ein Stück näher

LINKEN-Kandidatin für den Potsdamer Oberbürgermeisterposten gelangt in die Stichwahl

Es ist Sonntag, 20.25 Uhr, als die Potsdamer Oberbürgermeisterkandidatin Martina Trauth feststellt: »Wir sind in der Stichwahl.« Da bricht Jubel los unter den 50 Gästen, die zur Wahlparty der Linkspartei gekommen sind. Gefeiert wird hoch oben in der 17. Etage des Hotels »Mercure«, den Wolken ein Stück näher quasi, so wie in Günter Görlichs gleichnamigem Roman aus dem Jahr 1971. Der Blick durch die Fenster erlaubt einen weiten Blick über die Stadt, in der es regnet und regnet. Aber das trübt die Stimmung keineswegs.

Martina Trauths Mann Albert war schon im Wahlkampf oft an ihrer Seite. Nun sind auch ihre Tochter und ihre Eltern gekommen. Martina Trauth ist gerührt, ihre Mutter genauso, wischt sich Tränen aus den Augen. Die Anspannung der letzten Tage und Stunden fällt ab. »Jetzt ein bisschen Musik und tanzen«, fordert Martina Trauth.

Ergebnisse bisheriger Wahlen
  • 1993 erzielte Rolf Kutzmutz (PDS), der »rote Rolf«, in der ersten Runde der Potsdamer Oberbürgermeisterwahl 45,3 Prozent der Stimmen, Horst Gramlich (SPD) bekam nur 29,5 Prozent. Das war ein Paukenschlag. In der damaligen aufgeheizten Stimmung erhöhte sich die Wahlbeteiligung bei der Stichwahl von 61,8 auf 63 Prozent. Kutzmutz hatte nun alle anderen Kräfte gegen sich. Ein Oberbürgermeister der SED-Nachfolgepartei PDS sollte unbedingt verhindert werden. Kutzmutz schaffte trotzdem 45,1 Prozent. Aber das reichte nicht. Gramlich überholte ihn, siegte mit 54,9 Prozent.
  • 1998 trat für die SPD Matthias Platzeck an, der sich als Umweltminister bei der Oderflut 1997 den ehrenvollen Beinamen Deichgraf verdient hatte und der 2002 Ministerpräsident wurde. Mit 63 Prozent machte Platzeck gleich im ersten Wahlgang alles klar. Anita Tack (PDS) landete mit 24,5 Prozent auf Platz zwei vor Wieland Niekisch (CDU), der lediglich 9,1 Prozent erhielt. Die Wahlbeteiligung lag mit 79,9 Prozent ziemlich hoch.
  • 2002 lag Jann Jakobs (SPD) mit 54,4 Prozent in der ersten Runde der Oberbürgermeisterwahl vor Hans-Jürgen Scharfenberg (PDS) mit 31,2 Prozent und Wieland Niekisch (CDU) 15,5 Prozent. Die Wahlbeteiligung betrug 76,4 Prozent , sackte aber zur Stichwahl auf 40,4 Prozent ab. Mit einem hauchdünnen Vorsprung von 122 Stimmen (gerundet 0,2 Prozent) siegte Jakobs über Scharfenberg.
  • 2010 wiederholte sich das Duell zwischen Jann Jakobs (SPD) und Hans-Jürgen Scharfenberg, dessen PDS sich mit der Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG) zur Linkspartei vereinigt hatte. In der ersten Runde lag Jakobs mit seinen 41,7 Prozent vor Scharfenberg (33,1 Prozent) und CDU-Bewerberin Barbara Richstein (10,5 Prozent). Mit 60,8 zu 39,2 Prozent besiegte Jakobs seinen Konkurrenten Scharfenberg diesmal deutlicher als 2002. Die Wahlbeteiligung lag in der ersten Runde bei 45,5 Prozent, in der Stichwahl bei 42,1 Prozent. af

Mit der Nominierung der parteilosen Gleichstellungsbeauftragten hatte die LINKE etwas riskiert. Linksfraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg wäre eine sichere Bank gewesen. In die Stichwahl hätte es der 64-Jährige auch in einem dritten Anlauf wohl wieder locker geschafft, so wie bereits vor acht und vor 16 Jahren. Doch beide Male verlor er die Stichwahl gegen Jann Jakobs (SPD), den nun scheidenden Oberbürgermeister. Indem sie eine Parteilose ins Rennen schickte, versuchte die LINKE, diesmal jemanden in die Stichwahl zu bekommen, der dann nicht wieder automatisch fast alle anderen politischen Kräfte in der Stadt gegen sich hat. Martina Trauth, so das Kalkül, könnte auch im grünen Milieu Stimmen ziehen und sogar von Konservativen angekreuzt werden, die sich einen Politikwechsel wünschen.

Entsprechend bemühte sich Trauth um differenzierte Positionen, wenn es um die heißen Eisen der Stadtentwicklung ging, um einen Ausgleich in der fast heillos zerstrittenen Stadtgesellschaft. Das eröffnet für die Stichwahl am 14. Oktober Chancen zur Mitte hin, barg aber für die erste Wahlrunde am 23. September die Gefahr, links eine Lücke freizumachen, in die der Kandidat Lutz Boede von der linksalternativen Wählergruppe »Die Andere« vorstoßen konnte. Für diese Wählergruppe war die Oberbürgermeisterwahl eine gute Gelegenheit, sich für die Kommunalwahl im Mai kommenden Jahres warmzulaufen. Dass Boede es nicht in die Stichwahl schaffen würde, war vorher klar. Doch im schlimmsten Fall hätte Martina Trauth an dieser linken Flanke so viel an Zuspruch eingebüßt, dass sie vom CDU-Kandidaten Götz Friedrich überflügelt wird und die Stichwahl verpasst. Doch es ging gerade noch einmal gut.

Lutz Boede erzielte für die Verhältnisse seiner Wählergruppe beachtliche 11,4 Prozent, Götz Friedrich 17,4 Prozent, was für die CDU in Potsdam ein Rekordergebnis ist. Doch mit 19,1 Prozent erreichte Martina Trauth die Stichwahl, die am 14. Oktober die Entscheidung bringen wird. Mit 32,2 Prozent liegt Mike Schubert (SPD) zwar erst einmal deutlich vorn. »Aber das kann man aufholen«, glaubt Trauth. Sie will in den kommenden Wochen »Vollgas« geben. »Das können wir schaffen«, macht sie ihren Wahlhelfern Mut. »28 Jahre SPD sind doch mal genug«, sagt sie. So lange schon stellt die SPD in Potsdam den Oberbürgermeister.

»In der Stichwahl werden die Karten neu gemischt«, denkt der LINKE-Kreisvorsitzende Stefan Wollenberg voraus. »Es sind mehrere Kandidaten für den Wechsel angetreten. Wer den Wechsel will, kann ihn perfekt machen.« Damit spricht er nicht nur die Wähler von Lutz Boede an, die nun im Zweifel am ehesten zu Martina Trauth halten werden. Aus dem engsten Umfeld von Boede wird signalisiert, dass Trauth in der Stichwahl mit den Stimmen aus dem linksalternativen Lager rechnen könne.

Der Sozialdemokrat Schubert ist als Sozialbeigeordneter Teil der bisherigen Rathausspitze. In den Augen der Bevölkerung steht er damit für ein Weiter so in der Stadtpolitik. Im Laufe des Wahlabends bewegt sich der Geschichtslehrer Dennis Hohloch (AfD) in den Zwischenergebnissen anfangs einmal bei 18 Prozent, lässt dabei kurzzeitig Götz Friedrich von der CDU hinter sich und kommt Martina Trauths zweitem Rang gefährlich nahe.

Schockiert nimmt Finanzminister Christian Görke (LINKE) dies zur Kenntnis, kann sich eigentlich nicht vorstellen, dass dergleichen im roten Potsdam möglich wäre. Doch es trudeln zuerst die Ergebnisse aus den Vororten ein, aus den eingemeindeten Dörfern, in denen die Stimmen gewöhnlich schneller ausgezählt sind als in der Kernstadt. Dort draußen ticken die Uhren anders als im Zentrum. Als die innerstädtischen Wahllokale ihre Ergebnisse melden, schrumpft Hohlochs Wert auf 11,1 Prozent. Janny Armbruster (Grüne) erhält am Ende 8,9 Prozent. Die Wahlbeteiligung liegt bei 53 Prozent.

Allerdings steht Mike Schubert (SPD) am Ende mit 32,2 Prozent etwas besser da als erwartet - und der Abstand zu Trauth ist komfortabler als nach einer Prognose zu erwarten gewesen wäre. Demnach hätte Trauth nur vier Prozent hinter Schubert zurückliegen sollen. Stundenlanges Bangen, ob die Stichwahl nun auch sicher erreicht ist, wäre dann nicht nötig gewesen. Folgerichtig spricht Mike Schubert um 19.32 Uhr im Rathaus in eine rbb-Fernsehkamera strahlend die Worte, die sein Gefühl ausdrücken: »Erst einmal absolute Freude.« Auch CDU-Bewerber Friedrich strahlt zu diesem Zeitpunkt, obwohl sich abzeichnet, dass er die Stichwahl verpassen wird. Noch vor acht Jahren hätte die CDU von 17 Prozent in Potsdam nur träumen können. »Ich freue mich total. Der Einsatz hat sich gelohnt«, findet Friedrich deshalb und hat Grund dazu.

Die Ergebnisse eines Wahllokals lassen um 20.30 Uhr immer noch auf sich warten. Aber das ändert nun nichts mehr. Es wird im Hotel »Mercure« Sekt zum Anstoßen herumgereicht. »Gut gemacht«, lobt der Kreisvorsitzende Wollenberg den Kreisgeschäftsführer Roland Gehrmann, der fünf Prozent mehr für Trauth gut gefunden hätte, aber trotzdem befriedigt lächelt.

Auch die Kandidatin ist mit sich zufrieden. »Ich habe wirklich alles gegeben, was ich geben konnte«, sagt die 53-Jährige, während die zwei kleinen Kinder des Bundestagsabgeordneten Norbert Müller und der kleine Sohn der Landesvorsitzenden Anja Mayer vergnügt umhertollen. »Diese Jahr ist das außergewöhnlichste in meinem Leben«, bekennt Trauth. Das Jahr ist noch nicht zu Ende. In drei Wochen ist Stichwahl.

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