Zermürbt statt informiert

Seit Mai dieses Jahres sind wir hypersensibilisiert, was unsere Daten anbelangt. Die DSGVO hat Bewusstsein geschaffen: Könnte man meinen. Wie bei allem, was man ins Exzessive betreibt, hat sie jedoch Gleichgültigkeit erzeugt.

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit dem 25. Mai 2018 hat sich unser aller (Arbeits-)Leben verändert. Der Datenschutz, schon vorher ein wichtiges Thema bei Geschäften jeglicher Art, wurde nochmals verschärft. Das heißt, eigentlich änderte sich in Deutschland nur relativ wenig, die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) orientierte sich ja am deutschen Datenschutzgesetz. Ein Hype ist seinerzeit trotzdem entstanden. Plötzlich war von der absoluten Datenschutzrechtssicherheit die Rede. Das hat bis überallhin ausgestrahlt. Theater schreiben mir nun etliche Jahre nach dem letzten Theaterbesuch, fragen an, ob sie die Kundendaten in der Datenbank belassen dürfen. Selbstverständlich hat auch im gesundheitssystemischen Komplex der Datenschutz nochmals zugelegt – wobei er dort vorher schon ein großes Thema war.

In meinem bürgerlichen Leben bin ich in der Verwaltung eines Krankenhauses tätig. Die DSGVO hat auch dort für mehr Papieraufwand gesorgt. Das Arztgeheimnis ist empfindlich, geraten Daten an Dritte, muss das vorher schriftlich genehmigt worden sein. Ob nun Arztbericht oder Antrag bei der Rentenkasse: Die Daten eines Patienten gehören zunächst ihm. Da heißt es für ihn: Unterschreiben, was der Kugelschreiber hergibt, wenn er Dritte in Kenntnis setzen möchte.

Natürlich gab es vorher schon Entbindungen des Datengeheimnisses. Aber seitdem im Mai die DSGVO über uns kam, nicken viele schon verschwörerisch, ganz so, als wüssten sie darüber Bescheid, dass nun das Datenschutzzeitalter über uns alle eingebrochen ist. Seither muss man ihnen nur sagen, dass da unten noch ein Passus mit einer Datenschutzerklärung ist, schon kritzeln sie ihren Otto drunter. Rückfragen? Durchlesen? Kommt nicht vor. Noch weniger als vorher, als die Grundverordnung noch leise als Drohung in der Zukunft schlummerte.

»Ach, die alle mit ihrem Datenschutzquatsch!«, sagen viele und unterschreiben zeitgleich. Quatsch ist es ja nun wahrlich nicht. Es ist schon vernünftig, dass der Gesetzgeber klarstellt, dass Daten keine besitzlose Handelsware sind. Aus der Sicht desjenigen, der eine Leistung anbietet, ist es auch kein Quatsch. In Deutschland ist man ja grundsätzlich sehr klagewillig – um sich keinen Strick drehen zu lassen, ist eine Absicherung unumgänglich. Dass die ganze Debatte über die DSGVO aber auch nur ein bisschen Sensibilisierung bewirkt hätte: Das kann man getrost vergessen.

Mehr denn je wird darauf los unterschrieben. Das Wort »Datenschutz« ist wie das Glöckchen von Iwan Pawlow. Eigentlich ist das Gegenteil von dem geschehen, was hätte geschehen sollen: Statt einer Bewusstmachung datenschutzrechtlicher Standards hat sich das vormals ohnehin kaum vorhandene Interesse für die Sache in absolute Gleichgültigkeit verändert. Man hat in den Monaten der Einführung der Verordnung so viel darüber berichtet, informiert und belehrt, dass die Leute ganz kirre davon wurden. Die öffentliche Debatte hat das geplante Feingefühl ausgebootet und an seiner statt Verdrossenheit erzeugt.

Meine persönliche Erfahrung mit dem Datenschutz scheint eine Konstante in der hysterischen Mediokratie geworden zu sein. Man überdreht und überhitzt die Debatten zu einem Sujet, setzt jeden Tag noch einen drauf, skandalisiert und erzeugt Eklats, nährt Ängste und zeigt Fallstricke auf, und dies alles in einem Tempo, mit einer hohen Wiederholungstaktung, dass am Ende nicht der Informationsauftrag gewissenhaft erfüllt ist, sondern die gezielte Etablierung des Desinteresses. Diese Repetitio, die Dauerberieselung eines Themenkomplexes und das gehypte Überangebot an Überinformation stellt eine destruktive Zermürbungstaktik dar.

Der Sensationalismus ist nicht neu. Aber er hat in den letzten Jahren, da er auch um Klickzahlen buhlt, und da eine Minute verspäteter Berichterstattung schon eine halbe Ewigkeit und einen eklatanten Zeitverlust darstellt, um etwas viral gehen zu lassen – in diesen letzten Jahren also hat sich der Sensationalismus massiv verschärft. Und das bewirkt nicht die Zunahme an Information, sondern die Abkehr davon. Wenn wir von Faktenresistenz der Bürger sprechen, sollte man auch daran immer denken: Es gibt ein begrenztes Maß an Aufnahmefähigkeit. Strapaziert man das über, schlägt es ins Gegenteil um: Dann wird die Sache belanglos und beliebig, man schaltet ab und will nichts mehr davon wissen.

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