Abschottung um jeden Preis

Um die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren, schreckt Deutschland auch vor rechtswidrigen Maßnahmen nicht zurück

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 4 Min.

»Es geht um mehr als die Flüchtlingspolitik. Es geht um die Grundlagen des Zusammenlebens in Europa«, betont Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Amnesty International am Mittwoch in Berlin. In Europa würden zunehmend grundlegende Rechte außer Kraft gesetzt. So schließe die Bundesregierung mit EU-Staaten wie Spanien, Griechenland und Italien Deals ab, durch die europäisches Recht umgangen werden soll. Diese Abkommen würden an der Öffentlichkeit und am Parlament vorbei verhandelt, kritisiert die Asylexpertin von Amnesty, Franziska Vilmer.

Hintergrund sind Äußerungen von Innenminister Horst Seehofer (CSU), der am Mittwoch im »Handelsblatt« verkündet hatte, dass es mit einigen EU-Ländern bilaterale Abkommen zur Zurückweisung an der Grenze gebe. Das Pikante daran: Diese Abkommen existieren außerhalb der Dublin-Vereinbarung, die regelt, welcher Staat innerhalb der EU für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist. Dass diese Abkommen im Verborgenen geschlossenen wurden, gibt Seehofer offen zu: »Ja. Es gibt Abkommen mit Spanien, mit Griechenland. Ganz stillschweigend. Es interessiert niemanden, wenn es funktioniert.«

Für die beiden Menschenrechtsorganisationen ein Skandal: »Diese Praxis ist rechtswidrig und muss beendet werden«, fordert Franziska Vilmer. Pro Asyl fürchtet, dass dadurch geregelte Verfahren umgangen werden sollen, um Flüchtlinge rechtswidrig direkt an der Grenze abzuschieben. »Es ist inakzeptabel, dass die Bundespolizei ermächtigt wird, Asylsuchende an der deutschen Grenze aufzugreifen und in den Flieger etwa nach Griechenland zu setzen, ohne dass sie den Rechtsweg beschreiten können«, erklärt Günter Burkhardt.

Dass dies keine vage Befürchtung, sondern längst Realität ist, zeigt ein Blick nach Bayern: Am 26. August wurde dort ein Pakistaner von der Bundespolizei aufgegriffen. Nachdem festgestellt wurde, dass der 22-Jährige bereits in Griechenland Asyl beantragt hat, wurde er wegen versuchter unerlaubter Einreise angezeigt und unmittelbar nach Griechenland abgeschoben. Laut Bundespolizei erfolgte diese »erstmals angeordnete Rückführungsmaßnahme« vor dem Hintergrund einer Absprache zwischen Innenminister Seehofer und seinem griechischen Amtskollegen vom 17. August 2018.

Wie problematisch es ist, wenn Asylbewerbern der Klageweg vorenthalten wird, zeigt die hohe Zahl der Ablehnungsbescheide, die durch Gerichte kassiert werden. Bei Abschiebungen nach Griechenland müsse zudem die Lage vor Ort beachtet werden, so Burkhardt. So haben Flüchtlinge dort keinen Zugang zu Sozialleistungen, da diese erst nach 20-jährigem legalen Aufenthalt gewährt werden. Überhaupt würden Flüchtlinge und Asylsuchende in Griechenland unter katastrophalen Bedingungen leben.

Allein in den Lagern auf den griechischen Inseln leben mehr als 20 000 Menschen - dreimal mehr, als Kapazitäten vorhanden sind. Es herrschen Perspektivlosigkeit und bittere Not, erzählt Burkhardt, der sich erst kürzlich selbst ein Bild von der Lage vor Ort gemacht hat. Einige Menschen würden dort seit über einem Jahr festsitzen, das sei menschenrechtswidrig. »Wir fordern Zugang zu fairen Asylverfahren, das ist zurzeit nicht der Fall.« Auch die Einwohner litten unter den unhaltbaren Zuständen. »So wird Rassismus gefördert«, ist Burkhardt überzeugt.

Generell zeichnet sich die Asylpolitik der Europäischen Union laut Amnesty und Pro Asyl »durch menschenverachtende Abschottung aus«. Obwohl allein in diesem Jahr schon über 1500 Flüchtlinge im Mittelmeer gestorben seien, würden die EU-Staaten die zivile Seenotrettung verhindern. Durch die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache sei Europa mitverantwortlich für Folter und Misshandlung der aus Seenot Geretteten in libyschen Gefängnissen. »Libyen ist kein sicherer Ort, Europa ist in der Pflicht, seine Häfen zu öffnen«, so Franziska Vilmar.

Doch auch hierzulande sieht es nicht besser aus. Obwohl die Sicherheitslage in Afghanistan so schlecht sei wie noch nie, habe die Bundesregierung in diesem Jahr bereits 366 Afghanen dorthin abgeschoben. Der Familiennachzug insbesondere für Menschen aus dem Bürgerkriegsland Syrien werde systematisch behindert. So haben im vergangenen Monat nur 42 Angehörige von Flüchtlingen ein Visum erhalten - obwohl ein Kontingent von 1000 Angehörigen vorgesehen ist. Auch würden Flüchtlinge in den sogenannten AnkER-Zentren isoliert und ihrer Rechte beraubt. »Die geschwächten Regierungsparteien CDU und SPD lassen der CSU freie Hand, die von Rechtspopulisten innerhalb und außerhalb ihrer Partei getrieben ist«, meint Burkhardt.

Es müsse Schluss sein mit gefühlten Wahrheiten und Behauptungen über eine fehlende Integrationsbereitschaft in Deutschland, so Vilmar. Das vergangene Woche veröffentliche »Integrationsbarometer« habe gezeigt, dass die Menschen in Deutschland ein überwiegend positives Bild vom Zusammenleben mit Zuwanderern hätten.

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