• Politik
  • Asylpolitik der Europäischen Union

Menschenrechte stehen auf dem Spiel

Zum Tag des Flüchtlings: Günter Burkhardt zur Zukunft der Asyl- und Migrationspolitik in Europa

  • Günter Burkhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Asylpolitik der Europäischen Union zeichnet sich durch menschenverachtende Abschottung und Abschreckung aus. Hier geht es aber um mehr als um die Flüchtlingspolitik Europas. Es geht um die zentrale Frage, ob Menschenrechte auch künftig das Fundament des Zusammenlebens in Europa sein werden: Das Recht auf Leben, das Recht auf Schutz vor Zurückweisung in Folter und erniedrigende Umstände, der Zugang zum Recht auf Schutz und Asyl und das Recht, in einem Rechtsstaat gegen Behördenentscheidungen den Rechtsweg zu beschreiten, sind nicht mehr gewährleistet.

Statt individueller Rechte und rechtsstaatlicher Maßstäbe setzen europäische Staaten zunehmend auf Deals, die Flüchtlinge entrechten, den Zugang zum Asylrecht verhindern und im Mittelmeer und vor den Toren Europas bislang Tausende Schutzsuchende das Leben gekostet haben.

Zur Person
Günter Burkhardt ist Geschäftsführer und einer der Mitbegründer von Pro Asyl.

Von einer Asylpolitik, die auf Solidarität und Menschenrechten basiert, ist Europa weit entfernt. Hinter technokratisch klingenden Begriffen wie »Hotspots«, »kontrollierte Zentren«, »Ausschiffungsplattformen« etc. verbirgt sich der Versuch Europas, Schutzsuchenden systematisch den Zugang zum Recht auf ein faires Asylverfahren in der EU zu versperren. Das kann man an den »Hotspots« an den europäischen Außengrenzen beobachten. Schutzsuchende, die den griechischen EU-»Hotspot« Moria auf Lesbos erreichen, sitzen unter menschenunwürdigen Bedingungen fest. Fast 20 000 Flüchtlinge harren in solchen Lagern auf den griechischen Inseln aus, zwei Drittel von ihnen sind Frauen und Kinder. Ihnen droht die Abschiebung in die Türkei ohne jede Prüfung der Fluchtgründe. In »Hotspots« wird der Rechtsstaat außer Kraft gesetzt.

Doch die Türkei ist für Flüchtlinge nicht sicher. Das Land garantiert weder seinen eigenen Bürgerinnen und Bürgern noch Geflüchteten rechtsstaatliche Standards. Die Türkei verhindert in völkerrechts- und menschenrechtswidriger Weise die Flucht nach Europa. Die syrisch-türkische Grenze ist geschlossen, es kommt zu Push-Backs, also gewaltsamen Zurückweisungen an der Grenze ohne die Möglichkeit, in der Türkei Schutz nach internationalem Flüchtlingsrecht zu erhalten. Die Türkei garantiert nicht die Rechte nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Dennoch halten Deutschland und die EU an dem Fantasiegebilde des EU-Türkei-Deals fest, wonach die Türkei für Flüchtlinge sicher sei.

Der Deal ist ein Sündenfall. Die Bundesregierung hat sich in ein Abhängigkeitsverhältnis vom Erdoğan-Regime begeben; sie lässt der türkischen Regierung weitgehend freie Hand und schweigt zum völkerrechtswidrigen Einmarsch in Syrien. Menschenrechtsverletzungen in der Türkei werden, wenn überhaupt, nur zaghaft angesprochen. Die Anzahl der Asylantragsteller aus der Türkei steigt, ist allerdings noch gering im Vergleich zum Verfolgungsdruck, der in der Türkei herrscht. Nur wenige schaffen es außer Landes, auch eine Folge des EU-Türkei-Deals und der verschärften Grenzkontrollen.

Innerhalb der EU steht zunehmend die Rechtsstaatlichkeit auf dem Spiel. Bilaterale Abkommen zwischen Bundesregierung und Griechenland, Italien und anderen Staaten hebeln rechtsstaatliche Prinzipien aus. Es ist inakzeptabel, dass die Bundespolizei ermächtigt wird, Asylsuchende an der deutschen Grenze aufzugreifen und in den Flieger etwa nach Griechenland zu setzen, ohne dass sie den Rechtsweg beschreiten können. Hier versucht die Bundesregierung, am Europa-Recht vorbei einen faktisch rechtsfreien Raum zu schaffen, in dem die Bundespolizei unter Aushebelung der Rechtswegegarantie des Grundgesetzes und des Europa-Rechts handelt. Denn: Das Europa-Recht sieht vor, dass jeder Mitgliedstaat in jedem Fall prüfen muss, ob er für den oder die Asylsuchende zuständig ist.

Es mag staatstragend anmuten, am heutigen Tag des Flüchtlings den EU-Vertrag zu zitieren. Doch angesichts der schwindenden Bereitschaft europäischer Regierungen, eine Politik anzusteuern, die auf dem Europa der Menschenrechte fußt, mutet Artikel 2 wie eine Mahnung und Kritik an der gegenwärtigen europäischen Flüchtlingspolitik an: »Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte«.

Der ungekürzte Text von Günter Burkhardt ist auf der Webseite die-zukunft.eu nachzulesen.

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