Pünktlich auf privater Spur

Japans Züge rollen auf die Sekunde genau - aber nur, wo sich satte Gewinne erzielen lassen

  • Lesedauer: 2 Min.

Zwar reist der Monarch inzwischen nicht mehr in herkömmlichen Zügen, aber mit der »kaiserlichen« Pünktlichkeit nimmt es Japan noch immer sehr genau. Kürzlich entschuldigte sich ein Bahnbetreiber bei seinen Fahrgästen, weil die Vorortbahn von Tokio aus nicht zu spät, sondern zu früh abgefahren war. Um 9 Uhr 44 Minuten und 20 Sekunden war der Tsukuba Express aus dem Bahnhof gerollt - und damit 20 Sekunden früher als fahrplanmäßig vorgesehen.

Der japanische Pünktlichkeitsfanatismus macht auch vor dem Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen nicht Halt. Während die Deutsche Bahn einen Zug bis zu einer Verspätung von 5,59 Minuten als pünktlich ausweist, werden die Abfahrts-, Ankunfts- und Durchfahrtszeiten beim Stolz der High-Tech-Nation auf 15 Sekunden genau terminiert. Dass dies möglich ist, liegt nicht nur an modernen Technologien, regelmäßigen Wartungen und verlässlichen Beschäftigten, sondern auch daran, dass die eingezäunten Bahntrassen des über 300 km/h schnellen Zugs vom Nah- und Güterverkehrsnetz getrennt sind. Intensive Wartungen sind ein weiterer Grund dafür, dass seit der Inbetriebnahme des Shinkansen im Jahre 1964 noch kein einziger Fahrgast ums Leben gekommen ist, obwohl Japan relativ häufig von Erdbeben erschüttert wird.

Aber es gibt auch Schattenseiten des japanischen Bahnsystems: Nirgends auf der Welt sind die Fahrpreise höher. Es gibt keine Ermäßigungen über BahnCards; Fast alle Erwachsene fahren zum vollen Preis. Der schienengebundene Güterverkehr ist in Japan beinahe bedeutungslos. Und von der staatlichen Bahngesellschaft, die das zerklüftete Land mit zahlreichen Brücken und Tunneln bis in den hintersten Winkel bedient hatte, ist seit der Privatisierung der Japanese National Railways (JNR) im Jahre 1987 nicht mehr viel übrig. Entlegene Regionen werden kaum noch vom Bahn- und immer mehr vom Autoverkehr erschlossen. Allein auf der dünn besiedelten Nordinsel Hokkaido wurde ein Fünftel des Netzes stillgelegt. Mit der hierzulande grundgesetzlich verankerten Vorgabe, eine flächendeckende Versorgung mit Schienenverkehrsleistungen zu garantieren, wäre ein derartiger Rückzug aus der Fläche kaum vereinbar.

Frühzeitig fordert der erste Vorstandsvorsitzende von JR East, Shoji Sumita: »Ein wahres Eisenbahngeschäft sollte die Verantwortung für Infrastruktur und Betrieb vereinen.« Diese Bahnpolitik hat ihren Preis: Japans Bahnen verkehren nur dort, wo entsprechende Einnahmen zu erwarten sind. Die Konzentration auf einige wenige Hochgeschwindigkeitsstrecken und die vergleichsweise teuren Fahrscheine haben bislang verhindert, was umwelt- und sozialpolitisch geboten wäre: eine substanzielle Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene. Vor diesem Hintergrund können wir uns glücklich schätzen, dass die vertikale Integration privatisierter Bahnen hierzulande parteienübergreifend abgelehnt wird.

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