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»Wir gehen in die Revolution«

Notizen von einem Symposium in Berlin über 100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland

Typisch, war man geneigt festzustellen: Das Symposium über 100 Jahre Frauenwahlrecht war wesentlich bescheidener besucht als anderweitige Veranstaltungen in diesem geschichtsträchtigen Jubiläumsjahr in Berlin. Zudem fast nur von Frauen. Offenkundiges männliches Desinteresse mit den Absperrungen in der Hauptstadt ob eines Staatsbesuchs zu begründen, wie die Veranstalter versuchten, überzeugte nicht.

Verwunderlich auch, dass zu den Ausrichtern der Tagung nicht das Bundesministerium für Familie, Frauen und Jugend gehörte, das mit einer Staatssekretärin bei einer Podiumsdiskussion vertreten war. Auf nd-Nachfrage beim Ausrichter, der Deutschen Gesellschaft, hieß es: Traditioneller Partner sei das Bundesinnenministerium. Nun, im konkreten Fall entbehrt dies nicht einer gewissen Ironie. Ausgerechnet jene Institution, die - wie bei deren Vorstellung zum Amtsantritt von Horst Seehofer deutlich sichtbar war - wahrlich eine Mann-schaft ist. Und die als ABM für abgehalfterte Spitzenbeamte Männer in kommode Positionen ohne Gehaltsabzug bugsiert (Ex-Verfassungschef Hans-Georg Maaßen), während eine geschasste Politikerin (Bamf-Chefin Jutta Cordt) Einkommenseinbußen akzeptieren muss.

Wenigstens der Veranstaltungsort passte zum Thema. Henning Baumeister, stellvertretender Leiter der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt in Berlin erinnerte, dass am 15. Dezember 1918, zwei Wochen vor den Wahlen zur deutschen Nationalversammlung, das weibliche Geschlecht schon im Freistaat Anhalt und in Mecklenburg-Strelitz an die Urnen trat.

Am 3. Tag der Novemberrevolution, am 12. November 1918, verkündete der Rat der Volksbeauftragten, die provisorische Regierung nach dem Sturz des Kaisers, das Frauenwahlrecht, für das Aktivistinnen seit Jahrzehnten gestritten hatten. In der im Januar 1919 gewählten Nationalversammlung waren 8,7 Prozent der Abgeordneten weiblich. Eine »Sternstunde der Demokratie in Deutschland« pries Sabine Bergmann-Pohl die Erlangung des aktiven und passiven Wahlrechts für Frauen. Die Präsidenten der letzten und - von den Veranstaltern betont - »einzigen demokratisch gewählten« Volkskammer der DDR, räumte zugleich ein, dass Defizite blieben. Im ersten Bundestag sank der Anteil von Frauen auf 6,8 Prozent; inzwischen sind im Bundestag 31 Prozent vertreten. Womit die Bundesrepublik zwar über dem weltweiten Durchschnitt von 23,4 Prozent liegt, jedoch noch weit hinter Skandinavien mit über 40 Prozent weiblichen Abgeordneten. In deutschen Länderparlamenten beträgt ihr Anteil 25 bis 40 Prozent. Ost-West-Unterschiede seien nicht auszumachen; die höchste weibliche Repräsentanz weisen Brandenburg und Hessen aus, die niedrigste Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern. Dankenswerterweise ließ Bergman-Pohl im Namen von DDR-Frauen wissen: »Wir waren emanzipierter als die Frauen in der BRD.« So waren sie in der DDR in allen Berufsfeldern anzutreffen, auch einst Männern vorbehaltenen, etwa als Kranführerin oder Ingenieurin. Das steigerte ihr Wertgefühl, das nach der »Vereinigung« mit dem Verlust der Arbeitsplätze einen starken Dämpfer erhielt. Vormals erfahrene berufliche Anerkennung sowie die Kommunikation mit Kollegen wurden schmerzlich vermisst.

Es war an Joachim Käppner, einen historischen Rückblick zu offerieren. Der Journalist der »Süddeutschen Zeitung« hat ein Buch über 1918 veröffentlicht, in dem sich ein eigenständiges Kapitel über die Frauen in der Revolution findet. »Es gab nicht nur Rosa Luxemburg.« Käppner schilderte eine Episode in einer Berliner Pension in jenem dramatischen Novembertagen: Frauen und Mädchen putzten sich heraus; von der Wirtin gefragt, wohin es denn ginge, antworteten sie: »Wir gehen in die Revolution.«

Erst seit 1908 war es Frauen in Deutschland erlaubt, politischen Parteien beizutreten. Im Kaiserreich waren sie mehrheitlich als Dienstmädchen tätig, »Lohn minimal, Ausbeutung maximal«. Der 1894 gegründete überparteiliche Bund der Frauenvereine stellte 1914 seine Forderungen hinter der Mobilisierung für den Krieg zurück, während Sozialistinnen wie Clara Zetkin antimilitaristische Propaganda mit der sozialen Frage verbanden.

Die ersten Demonstrationen gegen den Krieg waren weiblich: »Wir wollen nicht länger zusehen, wie man unsere Männer und Söhne hinschlachtet.« Die Revolution brachte ihnen zwar das Wahlrecht, aber noch nicht gleiche politische Partizipation. Selbst auf dem Reichsrätekongress im Dezember 1918 befanden sich unter den 100 Delegierten nur zwei Frauen. Für die Kulturwissenschaftlerin Antonia Meiners selbst war überraschend, dass nicht die Bolschewiki als Erste das Frauenwahl einführten, sondern die Finnen 1906; der russische Zar gewährte es, um der Unabhängigkeitsbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Weltweiter Vorreiter war jedoch Neuseeland, wo bereits 1893 sogar die Maoiri-Frauen in den Genuss des Wahlrechts gelangten, gefolgt von Australien 1903. Wie in den beiden Kolonien des britischen Empires und in Finnland war auch andernorts die Forderung nach dem Frauenwahlrecht mit dem nationalen Befreiungskampf verknüpft. Schlusslichter bildeten die Schweiz (nach Volksentscheid 1971) und Lichtenstein (nach Klage vor dem Europarat 1984).

Selbst in Frankreich, dem Land der Revolutionen (1789, 1830, 1848, 1871) und einer (auf der Guillotine endenden) Olympe de Gouges wurde das aktive wie passive Frauenwahlrecht erst 1954 gewährt, als Dank für den heroischen Einsatz von Frauen in der Résistance. Erfrischend, wenn auch weitgehend bekannt, war Meiners Würdigung des spektakulären Kampfes der britischen Suffragetten.

Obwohl es in der Weimarer Republik erstmals Berufspolitikerinnen gab, so Angelika Schaser, blieben die Erwartungen nach mehr Gleichberechtigung enttäuscht. Die Hamburger Professorin zitierte Artikel 109 der Weimarer Verfassung: »Männer und Frauen haben grundsätzlich die gleichen Rechte.« Das Wort »grundsätzlich« interpretierte sie als »eine Einschränkung, die bald ihre Sprengkraft beweisen sollte«. So blieben in für die Aktivistinnen Helene Lange und Gertrud Bäumer Schulreform und Jugendwohlstandsgesetz in Weimarer Zeit auf halber Strecke stecken.

Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur, konzentrierte sich in ihrem deutsch-deutschen-Vergleich auf das Jahr 1968 und die Frauenzeitschriften »Die Freundin« respektive »Für Dich« sowie den »Tagesspiegel« und das »Neue Deutschland«. Das von ihr gezeichnete Bild der Frauen in der DDR erntete im Publikum - von ihr geschickt provoziert - mehrere Lacher. Wobei die von ihr durchaus korrekt referierten Fakten das Zerrbild konterkarierten und eigentlich bestätigten: Frauen in der DDR waren emanzipierter! In Berufstätigkeit, Scheidungs- und Abtreibungsrecht waren sie besser dran als ihre Geschlechtsgenossinnen im Westen. Einzig die Pille erhielten sie vier Jahre später, 1965, dafür aber auf Rezept kostenfrei und ab 16.

Christina Holtz-Bacha beleuchtete gegenwärtige Zustände. Die Professorin von der Universität Erlangen-Nürnberg konstatierte: »Deskriptive Repräsentation führt nicht unbedingt zur substanziellen Repräsentation.« Frauen an oder in der Macht bedeutet nicht, dass sie auch mehr Macht haben. In den Medien, die entscheidend sind für das Bild der Frauen in Gesellschaft und Politik sind, sieht man Frauen eher in der Moderation als bei Kommentatoren und Expertenrunden. Holtz-Bacha gab eine Beobachtung von Heide Simonis, ehemalige Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein wider: Als Politikerin würde man von den Medien nur ernsthaft wahrgenommen, wenn man Kanzlerin ist oder sich einen Fehler geleistet habe. Ansonsten dominiere das Beiwerk: Der Rock zu kurz, die Mundwinkel hängen etc. »Marginalisierung und Trivialisierung von Frauen in den Medien gibt es immer noch«, schloss die Wissenschaftlerin ihren Vortrag mit berechtigter Empörung. Statt kontinuierlichen Fortschritt registriert sie nach 1990 in Sachen Frauenemanzipation eher Sta gnation oder gar Rückschritt.

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