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Die Kraft des Lichts

Nach mehr als einem halben Jahrhundert ging ein Physik-Nobelpreis wieder an eine Frau.

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 5 Min.

Unter den Nobelpreisträgern in den Naturwissenschaften sind Frauen nach wie vor spärlich vertreten. Besonders deutlich zeigt sich dies in der Sparte Physik. Seit der Erstverleihung der Nobelpreise im Jahr 1901 durften bisher nur zwei Frauen die Trophäe in Empfang nehmen. 1903 war dies Marie Skłodowska-Curie, die sich große Verdienste um die Erforschung der Radioaktivität erworben hatte. Ihr folgte 60 Jahre später die in Deutschland geborene US-Amerikanerin Maria Goeppert-Mayer, die für den Nachweis der Schalenstruktur des Atomkerns ausgezeichnet wurde.

Anschließend mussten noch einmal fast 60 Jahre vergehen, bis sich die Stockholmer Juroren erneut für eine Frau entschieden: In diesem Jahr geht der Physik-Nobelpreis unter anderem an die kanadische Laserforscherin Donna Strickland, die an der University of Waterloo in Ontario arbeitet. Als sie von der Ehrung erfuhr, war ihr erster Gedanke: »Das ist verrückt! Kann das wirklich wahr sein?« Doch dann gab sie sich selbstbewusst: »Wir müssen Physikerinnen feiern, denn sie sind da draußen. Ich fühle mich geehrt, eine von diesen Frauen zu sein.«

Nobelpreis für Physik

Arthur Ashkin (Jg. 1922) arbeitete an den Bell Labs der US-Firma AT&T, die heute zu Nokia gehören. Gérard Mourou (Jg. 1944) forscht an der École Polytechnique in Palaiseau, Donna Strickland (Jg. 1959) lehrt heute an der University of Waterloo in Kanada. Beide arbeiteten Ende der 1980er Jahre an der University of Rochester (USA). Fotos: dpa, AP

Neben Strickland wurden noch zwei weitere Laserphysiker mit Nobel-Ehren bedacht. Eine Hälfte des mit umgerechnet 870 000 Euro dotierten Preises geht an den US-Amerikaner Arthur Ashkin für die Erfindung der optischen bzw. Laser-Pinzette und deren Anwendung in biologischen Systemen. Mit 96 Jahren ist Ashkin der bisher älteste Laureat in allen Nobel-Sparten. Die andere Hälfte des Preises teilt sich Donna Strickland mit dem französischen Physiker Gérard Mourou. Beide haben eine Methode zur Erzeugung extrem kurzer und hochintensiver Laserpulse entwickelt.

Wie der Name schon sagt, dienen optische Pinzetten dazu, Teilchen mit Hilfe von Licht zu greifen und festzuhalten. Mancher mag sich hier an die amerikanische TV-Serie »Star Trek« (Raumschiff Enterprise) erinnert fühlen, in der mit einem so genannten Traktorstrahl große Objekte berührungslos bewegt werden können. Laser-Pinzetten hingegen kommen bei der Erforschung von Atomen und Molekülen sowie Viren und Bakterien zum Einsatz. Das neue »Licht-Werkzeug« habe den alten Traum der Science Fiction wahrgemacht, Objekte allein mit dem Strahlungsdruck des Lichts zu bewegen, heißt es in der Erklärung des Nobel-Komitees.

Bereits in den 1960er Jahren hatte Ashkin an den Bell Laboratories bei New York versucht, transparente Kügelchen mit einem Laserstrahl einzufangen. Und zwar ausgehend von der Tatsache, dass Laserlicht einen Druck auf kleine Objekte ausübt. Sobald sich die Objekte im Zentrum eines Laserstrahls befinden, werden sie vom Strahlungsdruck dort festgehalten. Sie sind gewissermaßen in einer Lichtfalle gefangen. Prinzipiell Ähnliches passiert bei einem Fön, in dessen senkrecht nach oben verlaufenden Luftstrahl ein Tischtennisball schwebt. Selbst wenn man den Fön leicht zur Seite neigt, fällt der Ball nicht zu Boden. Die umströmende Luft hält ihn im Strahl fest.

In den von Ashkin entwickelten Lichtfallen können Teilchen und andere Objekte untersucht werden, ohne sie zu beschädigen. Das ist besonders bei biologischen Systemen von Bedeutung. Heute werden Laser-Pinzetten in vielen Laboren der Welt genutzt, um Proteine und Nukleinsäuren zu analysieren. »Sie eröffnen damit neue Möglichkeiten, die Maschinerie des Lebens zu beobachten und zu kontrollieren«, so das Nobel-Komitee. Mittlerweile ist es sogar möglich, mit Laser-Pinzetten ins Innere der Zelle zu greifen, ohne dabei irreversible Schäden an der Zellmembran zu hinterlassen. Eine der jüngsten Anwendungen der neuen Technik ist die optische Holographie, die auch im Kampf gegen Malaria zur Anwendung kommen soll. Tausende Laser-Pinzetten werden dabei gleichzeitig eingesetzt, um gesunde von infizierten Blutzellen zu unterscheiden.

Ein ganz anders geartetes »Licht-Werkzeug« haben Strickland und Mourou entwickelt. Bereits in den 1980er Jahren war es ihnen gelungen, Laserpulse so zu verstärken, wie es bis dahin niemand für möglich gehalten hatte. Damit bereiteten sie »den Weg für die kürzesten und intensivsten Laserpulse, die jemals von der Menschheit geschaffen wurden«, erklärte die Nobel-Jury und beschrieb das zugrunde liegende Prinzip der prämierten Entdeckung wie folgt: »Man nimmt einen kurzen Laserpuls, dehnt ihn in der Zeit aus, verstärkt ihn und presst ihn dann wieder zusammen.«

Der Laser, so urteilte Olga Botner vom Nobel-Komitee für Physik, ist ein Paradebeispiel für jene Entdeckungen der Grundlagenwissenschaft, die wie aus heiterem Himmel kommen und dann unser Leben verändern. Tatsächlich lassen sich mit intensiven Laserpulsen Materialien aller Art bearbeiten und verformen. Man kann damit präzise Löcher in verschiedene Stoffe bohren und Daten nicht nur auf der Oberfläche, sondern auch im Innern eines Materials speichern. Mit Laserstrahlen werden Tattoos entfernt und Augenoperationen zur Korrektur von Kurzsichtigkeit durchgeführt. Manche Wissenschaftler wollen extrem energiereiche Laserpulse sogar für die Beschleunigung von Elektronen oder Protonen in Rahmen der Krebsbehandlung einsetzen.

An der berühmten Pariser École Polytechnique war der Jubel groß, als bekannt wurde, dass der dort lehrende Gérard Mourou einen der diesjährigen Physik-Nobelpreise erhält. Er sei »überwältigt und überrascht zugleich« gewesen, erklärte der Geehrte vor der Kamera. Auch Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron sandte einen Glückwunsch und twitterte: »Wir sind stolz auf Gérard Mourou.«

Während dieser und Ashkin in der Fachwelt schon länger bekannt sind, besaß Donna Strickland vor der Ehrung noch nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag. Ohnehin zweifeln bis heute viele Männer an der Eignung von Frauen für das Fach Physik. Erst in der vergangenen Woche sorgte der italienische Physikprofessor Alessandro Strumia für einen Eklat am Europäischen Kernforschungszentrum Cern bei Genf. Bei einer Tagung zum Thema »Gender und Teilchenphysik« erklärte er, die Physik sei »von Männern erfunden und aufgebaut« worden. Frauen fehle dafür die nötige intellektuelle Begabung. Am Ende verstieg sich Strumia zu der Behauptung, dass weibliche Physiker überdies häufig bevorteilt würden. Mit Blick auf die Nobelpreis-Statistik kann man sich über eine solche Aussage nur wundern. Aber vielleicht ist die Ehrung von Strickland der Beginn einer neuen Ära in Stockholm. Das Cern immerhin hat reagiert und die Zusammenarbeit mit Strumia beendet.

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