• Berlin
  • Herbst der Besetzungen

«Gut, dass es noch so mutige Leute gibt»

Wie Menschen aus der Nachbarschaft und aus der Politik auf die Besetzung reagieren

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 3 Min.

Aktivist*innen haben am Samstag ein ehemaliges Wohnheim für obdachlose Männer in der Berlichingenstraße 12 in Moabit besetzt. Nach der Räumung der letzten Bewohner stand das Haus nun ein Jahr leer. Die Besetzer*innen wollten in dem Gebäude Wohnraum für Obdachlose und Studierende schaffen. Die Aktivist*innen wollten sich am «Housing First»-Ansatz orientieren, nach dem Obdachlose eine Wohnung erhalten, ohne dass daran Bedingungen geknüpft sind. Nachbar*innen, Politiker*innen und ehemalige Bewohner des Hauses gegenüber dem Siemens-Gasturbinenwerk bekundeten ihre Solidarität. Wir dokumentieren hier einige Aussagen:

Sebastian Morbach, Erzieher im Jugendzentrum in der Berlichingenstraße 8-11: «Ich finde Besetzungen sinnvoll. Ich habe früher selbst in einer Wohnung gewohnt, die meine Freundin besetzt hatte. Warum sollen Häuser leerstehen? »

Reinhard Michael Kilian, ehemaliger Bewohner der Berlichingenstraße 12: «Ich kam zufällig vorbei und dachte erst, da protestieren die Mitarbeiter von Siemens. Die Besetzung finde ich natürlich klasse. Schade, dass die Sache wieder so ein schnelles Ende finden soll.»

Taylan Kurt, fachpolitischer Sprecher der Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung Mitte: «Ich war schon immer dafür, Wohnungen per Allgemeinem Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) für Wohnungslose zu beschlagnahmen.»

Stephan von Dassel, Grüner Bezirksbürgermeister von Mitte, per Twitter: «Aktuell verklagt der Eigentümer das Bezirksamt auf 23.000 Euro Schadensersatz wegen entgangener Mieteinnahmen. Die damaligen Bewohner seien nur wegen der Unterstützung des Bezirksamts nicht schnell genug ausgezogen. Wie passt das zum jetzigen langen Leerstand?»

Nachbarin aus der Berlichingenstraße 3, die ihren Namen nicht nennen wollte: «Immer mehr Menschen verlieren ihren Wohnraum und können sich nichts Neues in Berlin leisten. Einer meiner Nachbarn ist nach Halle gezogen, ein anderer wohnt jetzt in einem Übergangsheim. Gut, dass es Menschen gibt, die etwas dagegen tun. Gut, dass es noch so mutige Leute gibt.»

Canan Bayram, Grüne Bundestagsabgeordnete: «Festhalten kann man: Das Haus steht leer, und das wollen wir nicht.»

Lisa Sommer, Sprecherin der Kampagne besetzen: «Wir sehen die Verantwortung zum Handeln ganz klar beim Senat. Das Haus steht seit über einem Jahr leer. Der Senat hätte es enteignen müssen. Der Eigentümer verstößt gegen das Zweckentfremdungsverbot.»

Tobias Schulze, stellvertretender Landesvorsitzender der LINKEN in Berlin: «Das Zweckentfremdungsverbot trifft hier nicht zu, weil es kein Wohnhaus ist, sondern Gewerbe. Wir müssen uns jetzt darüber Gedanken machen, wie wir vielleicht dennoch das Vorkaufsrecht nutzen können.»

Katrin Schmidberger, mietenpolitische Sprecherin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, per Twitter: «Es kann doch nicht sein, dass Spekulation gesetzlich geschützt wird, Mietrecht radikal ändern!»

Niclas Beiersdorf von der Berliner Obdachlosenhilfe, per Pressemitteilung: «Wir sind frustriert davon, dass trotz der massenhaften Ausweitung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit in dieser Stadt höchstens die Elendsverwaltung optimiert wird,während Ursachen unangetastet bleiben. Währenddessen stehen Wohnungen, ja ganze Häuser, leer. »Wir freuen uns,dass die Besetzer*innen das Haus für obdach- und wohnungslose Menschen öffnen wollen.«

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