Nach Justizirrtum verbrannt

Wegen einer Verwechslung kam der Syrer Amed A. ins Gefängnis / Frappierende Parallelen zum Fall Oury Jalloh

  • Dennis Pesch
  • Lesedauer: 5 Min.

Gleich zu Beginn der Sondersitzung von Rechts- und Innenausschuss im Landtag Nordrhein-Westfalens drücken Landesjustizminister Peter Biesenbach und Landesinnenminister Herbert Reul (beide CDU) ihre Anteilnahme am Tod des 26-jährigen Amed A. aus. »Für diesen Fehler in meinem politischen Verantwortungsbereich bitte ich die Familie des Verstorbenen von ganzem Herzen um Entschuldigung«, erklärte Reul. Biesenbach zeigt sich »tief betroffen«. Gleichzeitig sagt er im ersten Satz seiner Stellungnahme, Amed A. habe den Brand im Haftraum »möglicherweise selbst verschuldet«.

Einen Tag, bevor der Syrer seinen Verletzungen erlag, gab die Staatsanwaltschaft Kleve bekannt, dass er verwechselt worden sei, mit Amedy G., einem Mann aus Mali. Mit zwei Haftbefehlen wurde dieser wegen Diebstahls von der Staatsanwaltschaft Hamburg gesucht. Gegen die beteiligten Polizisten wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung eingeleitet. Geleitet wird es von der Staatsanwaltschaft Kleve. Für Mouctar Bah von »Break The Silence«, der Initiative zur Aufarbeitung des Todes von Oury Jalloh, fühlt sich der Fall an wie ein Déjà-vu: »Das war Freiheitsberaubung. Und die Polizisten werden vermutlich eh nicht bestraft, weil sie vom System gedeckt werden«, sagt er dem »neuen deutschland«.

Die beiden Ministerien legten jeweils Berichte darüber vor, wie es zu der Verwechslung kommen konnte. Nachdem Amed A. am 6. Juli vier Frauen in Geldern sexuell belästigt haben soll, fuhr die Polizei ihn auf die Wache, wo die Fingerabdrücke des Syrers überprüft wurden. Die Prüfung ergab einen Treffer: Amed A., geboren am 1. Januar 1992 in Aleppo, Syrien. Die Identität zweifelsfrei feststellen konnte die Polizei nach Angaben des Berichtes nicht, da der Syrer keine Ausweispapiere mit sich geführt habe. Die Polizisten kontrollierten den Namen von Amed A. und erhielten einen weiteren Treffer: Amedy G., der »Amed A.« als Alias-Namen angegeben hatte.

In der Wache ging man nun davon aus, dass es sich um den per Haftbefehl gesuchten Mann aus Mali handelte. Im Bericht des Innenministeriums heißt es: »Zu weitergehenden Ermittlungsmaßnahmen hätten gezählt: Ein Abgleich der Fotos von Gefasstem und Gesuchtem, ein Abgleich der Geburtsorte und ein Abgleich der Beschreibungen der äußerlichen Merkmale«. Im Klartext: Amedy G. ist schwarz, Amed A. war es nicht, und auch die Geburtsorte unterschieden sich. »Es gibt keinen Grund, die Beamten aus dem Dienst zu nehmen«, erklärte der Innenminister trotz dieser Versäumnisse. Bah kann das nicht nachvollziehen: »Nach meinen Erfahrungen gibt es bei der Polizei viele Beamte, die Ausländer hier nicht so gerne haben möchten. Wie kann man jemanden aus Syrien mit jemanden aus Mali verwechseln«, fragt er.

In der Folge wird der Syrer Amed A. in die JVA Geldern überstellt, wo er nunmehr wegen der Delikte inhaftiert ist, die dem Malier Amedy G. vorgeworfen werden. Die Justizbeamten geben die Alias-Personalien Amedy G. für ihn ein. Bis zu einem Gespräch mit der Anstaltspsychologin der JVA Kleve - in die er später verlegt wurde - verbringt er seine Zeit in einem gesonderten Haftraum. Er wird unregelmäßig beobachtet, denn beim Erstgespräch in der JVA Geldern habe er Suizidgedanken geäußert. Als die JVA Geldern, JVA Kleve und Staatsanwaltschaft Hamburg kurze Zeit später mehrfach wegen der Haftbefehle miteinander sprechen, stehen auf den Urteilen zu Amedy G.’s Straftaten unterschiedliche Personalien. Die Staatsangehörigkeit wechselt zwischen malisch und deutsch, der Geburtsort zwischen Timbouctou in Mali und Nouakcholt in Mauretanien. Amed A. wurde in Aleppo, Syrien geboren. Die angeblichen Geburtsdaten jedoch sind die selben: 1. Januar 1992.

Als Amed A. in die Bundesrepublik einreiste, bekam er das Geburtsdatum zugeschrieben. Bei der Anstaltspsychologin der JVA Kleve am 3. September beteuerte er: »Er habe seinen Namen immer korrekt mit Amad A. angegeben, und geboren sei er am 13. Juli 1992 - alle anders lautenden Angaben seien auf fehlerhafte Protokolle der Polizei zurückzuführen«. Die Psychologin schenkt den Worten des Syrers keinen Glauben. Sie schreibt in ihrem Bericht, er mache eine Menge kaum nachvollziehbarer Angaben zur Person.

»Es gibt immer dieses Misstrauen gegen ausländische Bürger. Ich kann mir nicht vorstellen, dass im Gesetz steht, dass man jemand festnehmen soll, wenn man seine Identität nicht wirklich festgestellt hat«, kritisiert Bah von »Break The Silence«. Das Justizministeriums rechtfertigt den Fehler hingegen: »Oftmals bestehen Zweifel an der Staatsangehörigkeit und dem Geburtsdatum, insbesondere, soweit es um die Frage der Minderjährigkeit geht. Häufig wird vor diesem Hintergrund das Geburtsdatum mit dem 1. Januar eines Jahres angegeben.« Amed A. war 23 Jahre alt, als er einreiste, was er den Behörden mit seinem Geburtsjahr 1992 unmissverständlich erklärt hatte.

Etwas über einen Monat vor dem Gespräch mit der Anstaltspsychologin, am 6. August, erreicht die JVA Kleve ein Schreiben der Hamburger Staatsanwaltschaft mit der Frage, »ob dort Nachweise über die dort geführten Personalien des Verurteilten vorliegen«. Mit Handschrift vermerkt die JVA Kleve: »Hier liegen keine Nachweise vor«. Wieder fällt die Verwechslung nicht auf. Die Staatsanwaltschaft Hamburg wird am 20. August erneut tätig und fragt bei der Polizei Kleve nach, »aufgrund welcher Erkenntnisse« die Personalien des Verurteilen geführt werden. Erst einen Monat später, am 24. September, soll die Anfrage die Polizei Kleve erreicht haben.

Sieben Tage zuvor brannte die Zelle von Amed A. »aus nach wie vor nicht abschließend geklärten Umständen«. Man habe ein verkohltes Feuerzeug neben der verkohlten Matratze gefunden, heißt im Rechts- und Innenausschuss. 14 Beamte sollen an den Untersuchungen des Brandes beteiligt gewesen sein; einen unabhängigen Brandsachverständigen zog man aber erst am 2. Oktober hinzu, kurz nachdem Amed A. gestorben war. Es gebe Anhaltspunkte, dass Brandstiftung vorliege, die allerdings nicht konkreter ausgeführt werden. Als Raucher wurde Amed A. nicht geführt. Das Innenministerium jedoch erklärte: »Der Gefangene hat wohl doch geraucht«.

Im Gespräch mit der Anstaltspsychologin sendete Amed A. seinen letzten Hilferuf: »Die Daten aus dem Urteil seien ihm allesamt unbekannt. Das Urteil betreffe ihn nicht. Er kenne den Namen Amedy G. nicht, er sei nie in Hamburg oder Braunschweig gewesen, schon gar nicht zu der dort angegeben Tatzeit; da sei er noch gar nicht in Deutschland gewesen.« Auch erklärte er, dass er keine Suizidgedanken habe. Die habe er im Erstgespräch in der JVA Geldern geäußert, um eine zügige Entlassung zu erreichen, heißt es im Bericht. Amed A. beteuerte, dass er sich noch nie selbst verletzt habe.

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