Der IWF und seine »heißen Kartoffeln«

In den Händen der nahezu unregulierten Schattenbanken liegen 45 Billionen US-Dollar

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Gita Gopinath ist zur Nachfolgerin des zum Jahresende ausscheidenden Chefökonomen des Internationalen Währungsfonds (IWF), Maurice Obstfeld, ernannt worden. Gopinath gilt als versiert in internationalen Wirtschafts- und Finanzfragen sowie bestens vertraut mit den Problemen von Schwellenländern. Und da gibt es einige. Mit den akuten Krisen in Venezuela und Argentinien befasst sich der IWF bereits. Bald könnte die Türkei hinzukommen. Trotz vorsichtigem Gegensteuern durch die Zentralbank hat die Wirtschaftspolitik von Präsident Recep Tayyip Erdoğan die Inflation in eine atemberaubende Höhe von 24,5 Prozent getrieben.

Doch die drei Staaten sind eher Ausreißer, die auf den Finanzmärkten bislang mehr Kopfschütteln als Sorgen auslösten. Nach einer Prognose der Deutschen Bank dürfte auf lange Sicht die Inflationsrate global betrachtet niedrig sein, da das Bevölkerungswachstum zurückgehen wird. Auf dem Weg dorthin sei aber in den kommenden Jahren ein vorübergehendes Aufflackern der Inflation durchaus möglich. Unter anderem, weil die Entschuldung durch Inflation »eine allgegenwärtige Versuchung« für Regierungen sei. Und die Versuchung wächst nicht allein in der Türkei, in Japan und den USA. Im Euroraum werden die öffentlichen Haushalte 2019 zum ersten Mal seit 2009 wieder ein höheres Defizit ausweisen. Nur die gute Konjunktur und die nie-drigen Zinsen verhindern eine dramatische Zuspitzung etwa in Italien.

Vor der Herbsttagung in Nusa Dua auf der indonesischen Insel Bali, die am Freitag begann und bis Sonntag geht, warnte der IWF hauptsächlich vor einer anderen Großbaustelle: Zehn Jahre nach der Finanzkrise kritisieren die Ökonomen eine globale Reformmüdigkeit. Politiker und Banker wehrten sich zunehmend gegen neue Vorgaben für die Finanzakteure oder wollten sogar wie US-Präsident Donald Trump bestehende Normen zurückdrehen. Die Auflagen für systemrelevante Institute wie etwa die Deutsche Bank dürften nicht gelockert werden, mahnt der IWF. Ohnehin ist das Reformprogramm zur Verhinderung einer neuen Finanzkrise noch gar nicht abgearbeitet. So beginnt die Einführungsphase der Basel-IV-Eigenkapitalregeln erst 2022.

Die Banken haben weltweit ihr Eigenkapital gestärkt und sind weniger anfällig als früher. Aber offenbar sind die Abwehrkräfte des Finanzsystems noch zu schwach für den unweigerlich kommenden Abschwung. »Jetzt«, wo auf den Märkten noch die Sonne scheine, »ist es an der Zeit, ausreichend Eigenkapital aufzubauen«, ermahnte Bundesbank-Vizechefin Claudia Buch die Kreditinstitute.

Gleichzeitig tauchen neue Risiken auf. Doch »die heißen Kartoffeln« werden weitergereicht, kritisiert die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Riskante Kredite würden wieder in Wertpapiere gebündelt und verschwänden in nahezu unregulierten Schattenbanken. Infolge der Renditesuche der Investoren erlebten solche Deals »ein rasantes Wachstum«, schreibt die BIZ. 45 Billionen US-Dollar liegen demnach in den Händen von Schattenbanken, was mehr als der Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung entspricht.

Der IWF sorgt sich noch um weitere mögliche Bruchstellen, die auf den Finanzmärkten ein schweres Beben auslösen könnten. Neben dem Brexit im März 2019 oder den von US-Präsident Donald Trump geschürten Handelskonflikten sorgt sich die neue Chefökonomin Gita Gopinath um den Dollarkurs, der Schwellenländer bedränge. Bekannt wurde die in Indien geborene US-Amerikanerin durch ihre im März an der Harvard-Universität veröffentlichten Studie »Welthandel und der Dollar«. Darin heißt es, dass bei einer Aufwertung des US-Dollar gegenüber allen anderen Ländern um ein Prozent der Außenhandel im Rest der Welt durchschnittlich um 0,6 Prozent zurückgehe. Aktuell kennt der Dollarkurs nur eine Richtung: Er steigt und steigt.

Oder geht die nächste Krise ganz klassisch von den Börsen aus? Der Weltaktienindex legte seit der Finanzkrise vor zehn Jahren von unter 750 auf über 2000 Punkte zu. Ähnlich rasant bewegten sich die Immobilienpreise nach oben, selbst in Me-tropolen am Rande der großen Wirtschaftsströme, etwa in Westafrika.

Das Platzen der Blasen träfe auf private Haushalte, Unternehmen und Staaten in aller Welt, deren Verschuldung heute höher ist als vor der Finanzkrise. Gopinath wird sich als neue Chefökonomin also gleich um viele »heiße Kartoffeln« kümmern müssen. Eine ist ihr IWF selber. Den halten Kritiker für ein Teil des Problems.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal