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Neustart von Neo-Nazi-Prozess in Koblenz stockt

Nach fast fünf Jahren Verhandlung ging Richter in Pension - bei zweitem Versuch soll Angeklagter erkrankt sein

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Koblenz. Stinkbomben, Hakenkreuz-Schmierereien und vieles mehr haben einst einen Koblenzer Mammutprozess gegen mutmaßliche Neonazis verzögert - bis dieser dann wegen der Pensionierung des Richters geplatzt war. Am Montag ist es die amtsärztlich bestätigte Erkrankung eines Angeklagten, die auch den Neustart des Verfahrens vorerst abwürgt - noch vor Verlesung der Anklage.

Der Beschuldigte verließ am Montag verhandlungsunfähig den größten Saal des Landgerichts Koblenz. »Das ist zu akzeptieren«, sagte der Vorsitzende Richter Reiner Rühmann. Die zunächst angestrebte Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten verwarf die Kammer nach einem vielstimmigen Protest der Verteidiger. Nächster Verhandlungstag ist nun der 23. Oktober - dreieinhalb Monate nach dem Ende des Münchener NSU-Prozesses um tödlichen Nazi-Terror.

In der neuen Runde des 2017 eingestellten Koblenzer Verfahrens gegen mutmaßliche Neonazis geht es zwar nicht um Mord, aber um die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Körperverletzung und Sachbeschädigung. Die Anklageschrift umfasst insgesamt 926 Seiten. Im ersten Verfahren ist von Gewalt gegen Linke, einem unangemeldeten Fackelmarsch, aufgesprühten Hakenkreuzen und versuchten Brandanschlägen auf Autos in den Jahren 2010 und 2011 die Rede gewesen. Die Angeklagten stammen mutmaßlich aus dem Umkreis der rechtsextremen Organisation »Aktionsbüro Mittelrhein« mit einem sogenannten Braunen Haus in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Es besteht der Verdacht, dass sich die Mitglieder des Netzwerks spätestens im Jahr 2009 radikalisierten.

Von den einst 26 Angeklagten bleiben in der zweiten Runde 16 übrig. Gegen einen 17. Angeklagten hat die Kammer das Verfahren laut Gerichtssprecherin Claudia Göbel erst am vergangenen Donnerstag eingestellt.

Das Landgericht hatte den ursprünglichen Prozess im Mai 2017 wegen der »überlangen Verfahrensdauer« von fast fünf Jahren spektakulär ohne Urteil eingestellt: Der damalige Vorsitzende Richter Hans-Georg Göttgen ging kurz darauf in Pension, es gab jedoch keinen Ergänzungsrichter mehr. Auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft hob das Oberlandesgericht Koblenz die Einstellung des Verfahrens auf. Beim Neustart sind gleich zwei Ergänzungsrichter und Ergänzungsschöffen dabei, um die Fortführung sicherzustellen.

Der neue Vorsitzende Richter Rühmann erwartete vorerst 90 terminierten Verhandlungstagen bis Ende 2019. Möglicherweise könne das Verfahren auch in das Jahr 2020 reichen. Der Verteidiger André Picker formulierte am Rande des Prozesses einen Vorwurf gegen die rot-gelb-grüne Regierung von Rheinland-Pfalz. Sie habe nicht mit einer Änderung des Landesrichtergesetzes eine Verzögerung der Pensionierung des ursprünglichen Vorsitzenden Richters Göttgen mit dessen Einverständnis ermöglicht. Dann wäre der erste Prozess nicht geplatzt. »In den meisten anderen Bundesländern wäre das möglich«, sagt der Anwalt.

Das Justizministerium in Mainz erinnerte daran, dass ein entsprechender Antrag der CDU-Opposition im rheinland-pfälzischen Landtag von der rot-gelb-grünen Mehrheit mit mehreren Argumenten zurückgewiesen worden sei. Unter anderem hätten verfassungsrechtliche Bedenken für das Wohl des laufenden Neonazi-Prozesses bei einer gleichzeitigen Gesetzesänderung eine Rolle gespielt.

Die CDU-Fraktion hat gleichwohl kürzlich ihre Forderung erneuert. Die nicht im Landtag vertretene LINKE sieht dagegen nach Angaben vom Montag das Justizministerium in der Pflicht, für genügend personelle Ressourcen für das Koblenzer Verfahren zu sorgen. nd/Agenturen

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