Hommage an den ästhetisierten Vamp

Gonzalo Galgueras »Diva«: getanztes Wohlfühlbad in Magdeburg

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie sind die so gebieterisch wie verlockend funkelnden Fixsterne im Showgeschäft: die Diven. Sie scheinen einfach dazu geboren worden zu sein, anders, größer, präsenter zu wirken. Ihr Mythos, ihre Aura sind schwer zu erklären - und doch hat einer versucht, ihnen auf die Spur zu kommen: Gonzalo Galguera aus Kuba, wo im Dezember die Ballettdiva Alicia Alonso 97 Jahre alt wird, wagt mit seiner formidablen Compagnie am Theater Magdeburg eine künstlerische Untersuchung, die dann auch »Diva« betitelt ist.

In acht Szenen untersucht dieses Tanzstück Aufflammen und Verlöschen einer Auserwählten, lässt Selbstzweifel, Wünsche und Ängste anklingen und gibt so einen facettenreichen Einblick ins Divendasein. Dass am Ende keine griffige Entlarvungsformel steht, macht den Reiz dieses ätherischen Bilderreigens aus.

Er beginnt mit fünf Vamps, die in hinter einer überdimensionalen Greta-Garbo-Brille versteckt posieren - und zwar in einem einem Riesenauge, dem »Fenster zur Seele«. Ängstlich findet sich da die künftige Diva von Männern umpulst, umfangen, umworben; wie durchs Schlüsselloch blickt der Zuschauer da in den Nebel des Ungefähren, aus dem die Stars aufsteigen. Doch schon ahnen die Männer, künftige Fans oder zurichtende Manager, das Außerordentliche des Subjekts ihres Bemühens. Der »Eintritt in eine neue Welt« geschieht in einem Rundtempel, es mag ein Kino oder ein Atelier sein. Dort hat sich der neue Star zu bewähren, beäugt aus allen Ritzen von einer tänzerisch virtuos selbstbezogenen Männerwelt um sie herum. Zur Kontrolle dient ein kleiner Spiegel, der später, vergrößert, ihr Schicksal einleiten wird. Ein Beispiel für Galgueras choreografischen Einfallsreichtum: Ein Mann im Oberarmstand schlingt begehrlich sein Bein um ihren Edelleib.

Eine Riege quecksilbriger Ankleider mit Beatlesfrisur putzt sie zur »Diva assoluta« heraus, in Goldflimmer, Cleopatra-Tüll oder Weißpelz mit Schapka. Im Spiegel begutachtet sie selbst die Verwandlung. Privat plagt sie die »Sehnsucht« nach echter Liebe. Galguera bietet dafür eines der bestrickendsten Bilder des Abends: Auf Podesten sitzen nahezu nackt drei athletische Adonisse, die im adagioartigen Tanz das Begehren der Einsamen anfachen. In schwelgerischer Ästhetik ereignen sich immer neue Verschlingungen der Hingabe, ohne je ins platte Koitale abzugleiten. Doch während jene Phantome der Liebe verschwinden, wird die Diva, von der Konkurrenz kopiert, zur Schleppe tragenden Marionette eines cleveren Agenten. Ihre gegelten Verehrer erwarten sie schon auf einem Sofa, das gedreht zum grellroten Riesenmund wird, von dem herunter die erblondete Diva sie gelangweilt leiden lässt, dirigiert und bald auf Armen umherschwebt, jeder Bodenhaftung entzogen. Auch aus dem großen Mund quellen die Beine, die sie schaukeln und tragen. Als noch Hände nach ihr langen, ist der Hollywood-Ruhm perfekt.

Es folgt der Abstieg, freiwillig vollzogen oder nicht. Die Diva legt Blondperücke und Marlene-Hose ab und wird normal. Erschrocken erkennt sie sich im Spiegel, auf dem sie dann wie gekreuzigt liegt. Die Ikone einer gesichtslosen Diva schwebt herab, ihr hängt man einen roten Schleier um und lässt sie entschweben. Neben dem endlosen Schweif des Kometen, der die Diva war, wirkt ihr menschlicher Kern zerbrechlich und klein. Man assoziiert: Marilyn und ihren frühen Tod; die gealterte Marlene in ihrer Pariser Abgeschiedenheit.

Das Stück gleitet auf der dezent melancholischen bis trauervollen Musik von Thomas Duda dahin, neben Titeln des Balanescu-Quartetts, von Armand Amar und Luca D’Alberto. Es ist eine süffig harmonische Hommage an die Auserkorenen unter den Künstlerinnen. Man kann sich gar nicht satt sehen an so viel choreografischer Delikatesse - bei einem tänzerisch wie artistisch enormen Anspruch. Anastasia Gavrilenkova, kurzfristig eingesprungen für ihre verletzte Kollegin, ist auf bestem Weg, selbst eine Ballett-Diva zu werden. Magdeburgs klassisch orientierte Compagnie hat mit dem jüngsten Streich des gereiften Gonzalo Galguera ein weiteres neoklassisches Kronjuwel im Repertoire.

Weitere Aufführungen am 21. und 27. Oktober sowie 4. und 24. November; www.theater-magdeburg.de

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