Wenn die Skulpturen unheroisch werden

Das Kolbe-Museum zeigt »Zarte Männer in der Skulptur der Moderne«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

In der Plastik der griechischen und römischen Antike sind sie ein fester Topos: Nacktdarstellungen schöner Jünglinge, mit meist göttlichen oder zumindest mythologischen Weihen. Das christliche Mittelalter verhüllte dann glaubenswütig-asketisch und mit reichlich Stoff, was den Menschen zum Menschen macht. Erst die Renaissance brach mit diesem Tabu und zeigte wieder Nackte.

Diese unterschiedlichen Herangeehensweisen thematisiert eine Ausstellung im Georg-Kolbe-Museum. Sie bringt rund 80 Exponate von Plastikern der Moderne aus drei Generationen in einen Kontext und einen künstlerischen Dialog.

Vielfältig mögen die Gründe sein, weshalb sich Künstler mit dem nackten Jünglingsleib beschäftigen. Sie reichen vom formal-ästhetischen bis zum erotischen Interesse und unterlaufen dabei durchaus bewusst subversiv gängige Klischeevorstellungen ihrer Zeit. Und sie tragen auch zunehmend den Kaufinteressen betuchter Kunden Rechnung.

Zwei geradezu klassisch anmutende Figuren, Bronzen wie nahezu alle Exponate, empfangen den Besucher im Vorraum der Ausstellung, die auf zwei Etagen alle Säle füllt. Artur Volkmanns um 1890 datierender »Ganymed« von 84 Zentimetern betrauert unter dem Griechenschopf den Tod des Malers Hans von Marée: In seinen Händen hat er ein Gefäß, dessen Inhalt ausgelaufen ist. Adolf von Hildebrandts um 1870 entstandener und etwa gleich hoher »Trinkender Knabe« hingegen, weinlaubumkränzt und eine saftige Traube in der Hand, ist, leicht vorgeneigt, ganz dem Vorgang des Schlürfens hingegeben: klassischer Bacchant, poliert auch er.

Beide Werke wirkten anregend für künftige Kollegen, die sich auf veränderte Zeitanschauungen berufen konnten. Um die Jahrhundertwende geht das einher mit dem Jugendstil und auch mit der Lebensreformbewegung, die den Körper durch Sport befreien wollte. Auch die internationalen Gastspiele der Ballets russes sind zu nennen, die das Ballett radikal aus der Erstarrung erlösten, indem sie ihre Themen aus der Zeit bezogen und Plastiker wie Georg Kolbe, Ernesto de Fiori oder Fritz Klimsch zur Reaktion inspirierten.Kleinplastiken um 1890, Johannes Götz’ »Balancierender Knabe«, Nikolaus Friedrichs »Sandalenbinder«, Jeremias Christensens »Knabe vom Berge«, spielen freilich noch elegant mit gängigen Sujets und waren entsprechend populär. Wie indes der Belgier George Minne 1898 einen verwundeten und einen knienden Knaben modelliert, schmal, scheu, auch emotional verletzlich, läutet eine andere Sicht auf das Thema ein.

Ist der »Gürtelbinder« von Sascha Schneider, dem Illustrator der Karl-May-Bände, 1913 noch statisch und stolz auf sich bezogen, so ist Mathieu Molitors gleiches Sujet bereits gelöster.

Durch die Erfahrung des Ersten Weltkriegs werden die Skulpturen unheroischer, sie bekommen eine Schmerzlichkeit, die dem Heldengetöse jener Ära zuwiderläuft. Ernst Wencks 1913/14 ahnungsvoll zu Boden Gehender, Joseph Enselings schmächtiger »Adam«, Georg Kolbes »Stürzender Flieger«, als Ikarus getarnt, Wilhelm Lehmbrucks vergeistigter Gipstorso eines »Denkers« - sie alle bringen den trauernd in sich gekehrten, äußeren Mächten ausgelieferten Jüngling ins Spiel.

Diese Tendenz des sanft Widerständigen wird sich während der Nazizeit noch verstärken, als Gegenentwurf zu den heroisch kampfeswütigen Skulpturen der Staatskunst, wenn auch eher im Verborgenen. Der schmalbrüstige, breithüftige »Johannes« des Gerhard Marcks von 1936 berührt tief in seinem menschlichen Unfertigsein; Hermann Blumenthals »Sterngucker« scheint alle Fragen an die Zeit im Blick zu bündeln, sein »Kriechender« von 1930/31 bereits die künftige Niederlage der Demokratie zu spüren.

Wie sich der Reiz von Jünglingsbildern als Metapher für die kurze Phase des Aufblühens bis in die 1960er fortschreibt, dafür stehen Richard Scheibes »Liegender Narziss«, Gerhard Marcks’ »Stehender« und Hermann Geibels »Hyperion«.

Bis 3.2.19, täglich 10-18 Uhr, Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, Charlottenburg.

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