Grüne Wilderer

Robert Zion meint, dass sich die Ökopartei zu einem »natürlichen« Partner der Union entwickelt hat - nicht nur in Bayern

  • Robert Zion
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Augenblick des Erfolges krittelt man nicht herum. Es wäre ja auch deprimierend, wenn die Deutschen in Zeiten eines dramatisch fortschreitenden Klimawandels, eines allgemeinen Rechtsrucks sowie der Performance der Großen Koalition die Grünen nicht stärken würden. In den acht bayerischen Großstädten sind sie nun sogar zur stärksten Partei aufgestiegen. Das grüne Spitzenpersonal in Bayern, Katharina Schulze und Ludwig Hartmann, wirkt dabei genau so »frisch« und »attraktiv« wie mit Annalena Baerbock und Robert Habeck das im Bund. Überhaupt waren das die Vokabeln, die an diesem Abend am häufigsten von den Kommentatoren in den Wahlsendungen zu hören waren, wenn es darum ging, den Erfolg der Grünen zu erklären. Kurz vor der Bayern-Wahl schrieb die »Wirtschaftswoche« noch, dieser Erfolg habe damit zu tun, dass die Grünen »ideologisch abgerüstet« hätten, denn die Deutschen, so das wirtschaftsnahe Blatt, »mögen keine Fundis und Ideologen«.

Während die Krise der sozialdemokratischen Parteien in nahezu ganz Europa nun wohl auch die SPD endgültig erfasst hat, schicken sich die deutschen Grünen also an, deren Stelle einzunehmen. Zunächst am erfolgreichsten in den Bundesländern, die nicht gerade als Hochburgen der Linken im Land gelten: in Baden-Württemberg und Bayern. Dabei profitiert die Partei derzeit ganz besonders von der Mobilisierung gegen die AfD wie auch von der Profillosigkeit der SPD und dem Chaos bei der Flüchtlingsfrage in der Union. Es ist jedenfalls ein gewaltiger politischer Vorschuss, den die Wählerinnen und Wähler den Grünen derzeit gewähren. Und die Partei selbst bitten um diesen Vorschuss mit ihrem »frischen« Personal in der politisch-medialen Öffentlichkeit, einem hypermodernen Internetwahlkampf, dem Vermeiden jeglichen Streits in der Partei und - stets vage bleibenden - Hinweisen auf all die Probleme, von der Umwelt bis zur Wohnungsnot, die die Menschen derzeit umtreiben.

Waren die Grünen über Jahrzehnte so etwas wie ein strategischer Partner der SPD, so entwickeln sie sich nun zu einem »natürlichen« Partner der Union. Der erste Grüne, der sich am Sonntag nach 18 Uhr zu Wort meldete, war dann auch Cem Özdemir, der der CSU schon einmal die Botschaft sendete, es ginge nun darum, »die Schöpfung zu bewahren«. Und Spitzenkandidatin Katharina Schulze gab bekannt: »Natürlich sind wir bereit, Verantwortung für dieses schöne Land zu übernehmen.« In Hessen, wo in zwei Wochen ebenfalls gewählt wird, läuft Schwarz-Grün ja ebenfalls »geräuschlos« - eine der Lieblingsvokabeln von Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne).

In ihrer Öffentlichkeitsdarstellung haben die Grünen politische Konflikte in der Gesellschaft auf ein Maß zurückgefahren, das ihrer Wählerschaft genau das Gefühl zu vermitteln imstande ist, dass die Unionsparteien immer weniger vermitteln können: »Es wird sich einiges ändern, aber es wird alles so bleiben, wie es ist.« Die Grünen wildern damit bewusst im konservativen Mainstream der Republik. Die sich in der Globalisierung zeigenden systemischen Widersprüche werden dabei von ihnen in moralische Fragen verwandelt und damit entpolitisiert.

So erschleichen sich die Grünen derzeit in einer immer volatiler werdenden Parteienlandschaft ihren gigantischen politischen Vorschuss auch als der - vermeintliche - Gegenpol zur AfD. Doch darin liegt eine große Gefahr. Denn dieser Vorschuss wird irgendwann zurückgezahlt werden müssen. Soll der Aufstieg der Rechten überhaupt einmal gestoppt werden - in Bayern war die AfD mit den meisten Stimmenzuwächsen im Übrigen die eigentliche Gewinnerin der Wahl -, dann reicht ein möglichst »geräuschloses« Regieren eben nicht aus. Denn der »Mut«, auch so eine Lieblingsvokabel der neuen Grünen, der notwendig wäre, um dem Bürgertum zu vermitteln, dass sich auch für dieses sehr viel ändern muss, wenn man denn unsere natürlichen Lebensgrundlagen erhalten will, der hat diese Grünen schon lange verlassen. Es dürfte sich rasch herausstellen, dass Konfliktfähigkeit und Durchsetzungsvermögen in einer Welt harter Interessengegensätze weit wichtiger sind als »Frische« und »Attraktivität«. Dank der Freien Wähler als wahrscheinlicher Koalitionspartner der CSU dürfte den Grünen und der zutiefst verunsicherten bürgerlichen Mitte dieser Realitätsschock zumindest in Bayern noch einmal erspart bleiben.

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