Bescheuerte Verkehrspolitik

Zu lange hat die deutsche Politik die Autohersteller hofiert, politisch in Schutz genommen und damit eine erneuerungsbedürftige Branche gestützt

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Letzte Woche gab es das Neueste vom Streit der Koalitionäre. Diesmal standen Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und die Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) im Mittelpunkt. Schulze habe »halbherzig verhandelt«, warf Scheuer in die Runde. Der EU-Kompromiss zur Senkung des CO2-Ausstoßes hätte anders ausfallen können. Nämlich besser – also schlechter für uns alle, jedoch besser für die Automobilindustrie. Die drohte ja auch prompt mit dem Abbau von 100.000 Stellen, mit der Urkatastrophe der deutschen Wohlstandsphäre gewissermaßen: Und statt dass sich der Verkehrsminister hinstellt und klarmacht, dass wir als Gesellschaft nun Wege finden müssen, Mobilität sauberer zu gestalten, und dies eben auch an die Automobilbranche gerichtet, jammert er über die vermeintliche Unfähigkeit der Umweltministerin.

Klar, Schulze ist ihm gehörig in die Parade gefahren. Scheuer begriff sich von Anfang an, seitdem er diesen Posten bekleidete, als Automobilminister. Als einer zudem, der hoffte, dass sich der Betrugsskandal von alleine regelt, die Fragen der Umweltbelastung weggeschoben werden könnten. Schließlich ist der Verkehr im deutschen Politbetrieb keine Frage der Umweltverträglichkeit, der Lebensqualität und der zeitgemäßen Mobilität, sondern eine des Wirtschaftsstandortes. Daher suchte sich Scheuer ein Ventil, fand es in Schulze und ließ das die Presse wissen.

Freilich steckt hinter dem Unmut mehr. Scheuer weigerte sich ja mit der Verlagerung seines Ärgers, die Automobilbranche in die Pflicht zu nehmen. Er hätte ruhig mal fragen können, welche Art Industrie das eigentlich ist, die beim kleinsten Anzeichen einer Zeitenwende mit Arbeitsplatzabbau droht, statt den unternehmerischen Geist und die Ingenieurskunst angestachelt wähnt. Eine Industrie, die glaubte, es gehe immer weiter so, der Markt würde wachsen und wachsen, kann doch nicht die Antwort auf die Mobilitätsfragen der Zukunft sein.

Zu lange hat die deutsche Politik die deutschen Autohersteller hofiert, politisch in Schutz genommen und damit eine Branche gestützt, die lange reform- und erneuerungsbedürftig war. Aber indem die Politik so tat, als könne es irgendwie schon immer weiter so gehen, hat man die Konzerne im falschen Glauben gelassen, sie hätten einen Freifahrtschein.

Scheuer hat das nur geerbt. Aber als Erbe hat er dort weitergemacht, wo seine Vorgänger die Augen verschlossen und einfach den Kurs hielten. Neue Wege schlug er auch nicht ein. Er ist, ganz genau so wie man das stets in Deutschland der letzten Jahre hielt, ein Verkehrsminister, der eigentlich nur ein Autominister ist. So eine Art abbestellter Funktionsgehilfe aus den Hinterzimmern der tatsächlichen Macht: Des Big Business der Individualmobilität. Als Verkehrsminister müsste er über die Schiene nachdenken, über Kollektivmobilität, müsste die Bahn stärken, den Nahverkehr ausbauen, gepaart mit intelligenten digitalen Methoden zur Steuerung des Verkehrsaufkommens. Davon liest man aber wenig, weil Scheuer eigentlich gar nicht Verkehrsminister im Sinne des Wortes sein will.

Er ist als »Weiter-so«-Beauftragter engagiert. Und als solcher steht er kurz vor dem Versagen, denn die deutschen Hersteller müssen nun investieren, ihr schönes Geld in neue Projekte buttern, wo sie es vorher noch herrlich horteten. Daher hörte man ja schon vorher, bevor die EU-Kommission über die CO2-Werte beratschlagte, dass die deutsche Industrie sehr unzufrieden sei mit der Koalition. Früher stand nämlich Angela Merkel persönlich als Greenwashing-Beauftragte zur Verfügung. Sie war die Klimakanzlerin, die gerne auf die schadstoffarmen Fahrzeuge Made in Germany verwies. Das war ein Zweckverband, Win-win für beide. Die Politikerin war plötzlich naturgrün, die Automobilbranche der Fortschritt. Beides traf nicht zu - aber PR war alles.

Wenn Donald Trump bald mal wieder den menschengemachten Klimawandel leugnet, sind wir hochzufrieden in unseren Breitengraden. Man kann ja unserem politischen Personal viel unterstellen: Aber Leugnung - das ist bloß das Geschäft diverser Spinner in der AfD. Scheuer leugnet nicht. Er hätte bloß gerne gesehen, dass es immer weitergeht mit dem Jobmotor mobiler Rückständigkeit. Und ich weiß nicht, was schlimmer ist. Einer, der wirklich glaubt, der Mensch verändere das Klima nicht – und der daher nicht umsteuert. Oder die ganzen aufgeklärten Leute, die es wissen und Kurs halten. Letztere haben jedenfalls gewusst, was sie tun.

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