»Es herrscht Stillstand«

Ulle Schauws erklärt, warum trotz parlamentarischer Mehrheit gegen den Paragraf 219a bisher nichts passiert ist

  • Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 5 Min.

Frau Schauws, Paragraf 219a verbietet sogenannte Werbung für Schwangerschaftsabbrüche. Wozu führt diese Regelung?
Dazu, dass Ärzt*innen, die über Schwangerschaftsabbrüche informieren, angeklagt werden. Das haben wir jetzt bei Gießener Ärztin Kristina Hänel und den Ärztinnen aus Kassel, Nora Szász und Natascha Nicklaus, gesehen. Es gibt neben diesen aber noch weitere. In den letzten Jahren ist eine starke Zunahme an Klagen gegen Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, zu beobachten. Ihnen wird dann unterstellt, dass sie das zu ihrem Vermögensvorteil machen.

Sie sprechen von Informationen, der Paragraf spricht von Werbung. Können Informationen auf ärztlichen Webseiten denn Werbung sein?
Informationen sind aus meiner Sicht keine Werbung, aber es ist tatsächlich so, dass der Paragraf 219a in den Gerichten so ausgelegt wird. Deshalb muss er aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden. Damit Informationen möglich sind.

Zur Person
Ulle Schauws ist frauenpolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion. Sie studierte Film- und Fernsehwissenschaften, Politikwissenschaften, sowie Frauen- und Geschlechterforschung in Berlin und Bochum. Bevor sie 2013 in den Bundestag einzog, war sie als Redakteurin und Dramaturgin und in der Beratung von Arbeitslosen tätig. Mit ihr sprach für »nd« Vanessa Fischer.

Bevor Hänel verurteilt wurde, war der Paragraf 219a längere Zeit kein Thema. Warum ausgerechnet jetzt? Liegt das nur an ihr?
Es gibt schon seit vielen Jahren Anzeigen gegen Ärzt*innen. Bis auf Hänel haben aber alle auf Empfehlung der Gerichte, die Informationen wieder von ihren Internetseiten herunter genommen. Hänel und ihr Mut, das nicht hinzunehmen, sondern den Klageweg zu bestreiten und dafür zu kämpfen, weiterhin über Schwangerschaftsabbrüche informieren zu können, ist neu. Daneben gibt es aber in den letzten Jahren auch ein Erstarken derjenigen, die sich den sogenannten Lebensschutz zum Ziel gesetzt haben. Das und der weltweite Rechtsruck haben zu einem allgemeinen Angriff auf bisher erkämpfte Rechte, wie Gleichberechtigung, sexuelle Selbstbestimmung und reproduktive Rechte, geführt.

Sie meinen also, dass es gerade jetzt wichtig ist, die Abschaffung des Paragrafen 219a weiter voranzutreiben. Könnte das nicht auch zu einem Backlash führen?
Nein. Das glaube ich überhaupt nicht. Ich würde immer sagen, dass jede Form der Nicht-Veränderung, dazu führt, dass sich die Gegner bestärkt fühlen. Deshalb sehe ich das genau andersrum.

Sie haben bereits einen Gesetzentwurf eingebracht, ebenso die LINKE und die FDP. Zusammen mit der SPD gäbe es damit eine parlamentarische Mehrheit. Warum wurde der Paragraf nicht längst abgeschafft?
Anfangs gab es ein starkes Bestreben der SPD. Die haben schon im letzten Jahr einen Gesetzesentwurf gemacht und auch einstimmig in ihrer Fraktion beschlossen. Kurz danach kam es dann doch zu einer großen Koalition. Die SPD hat dann versucht, den 219a und ihren Gesetzentwurf aus den Koalitionsverhandlungen rauszuhalten. Eigentlich wollte die SPD, dass sie unabhängig von der Koalition darüber abstimmen kann. Das hat die Fraktionsvorsitzende Nahles dann aber nicht durchgehalten. Sie ist da vor Herrn Kauder und vor der Union eingeknickt. Union und SPD haben letzte Woche im Rechtsausschuss mit ihrer Mehrheit den Punkt wieder absetzen lassen. Am Donnerstag in der Debatte im Deutschen Bundestag hat die SPD zwar gesagt, sie wolle die Abschaffung. Trotzdem herrscht Stillstand.

Was sollte als nächstes passieren, um wieder Bewegung in die Sache zu bringen?
Wir hoffen, dass die SPD jetzt den nächsten Schritt tut und sagt, bei diesem Punkt haben wir kein Ergebnis, auch die Bundesregierung und das Ministerium können sich in der Regierung nicht darauf einigen, einen eigenen Vorschlag vorzulegen, deswegen geben wir jetzt die Abstimmung frei.

Glauben Sie, der parlamentarische Prozess schafft es noch, schneller zu sein als der juristische Weg über die Instanzen, den ja Frau Hänel angekündigt hat notfalls zu gehen?
Ja ich glaube schon, dass der parlamentarische Weg schneller ist, da bleibe ich optimistisch. Ich finde auch, dass er notwendig ist. Es ist keine Frage, die das Bundesverfassungsgericht am Ende lösen muss, sondern eine politische.

Konservative fürchten, dass es mit einer Streichung des 219a auch zu einer Streichung des 218 kommen könnte und nutzen dies für ihre Argumentation gegen eine Streichung von 219a. Was sagen Sie dazu?
Das ist eine total verschobene Debatte. Wir reden hier über Paragraf 219a, und da geht es um das sogenannte Werbeverbot. Die Union versucht eine Vermischung der Debatte mit Paragraf 218 und redet davon, dass 219a ein Bestandteil in einem Gerüst von Gesetzen sei, und wenn man da ein Steinchen herausnimmt, bricht ein Konstrukt zusammen. Wir haben von den Sachverständigen im Ausschuss deutlich gehört, dass es kein Gesetzesgerüst gibt, es gibt auch bei anderen Gesetzen kein Gerüst. Die Union argumentiert mit falschen Behauptungen, was sehr unredlich ist, und versucht sich eben aus der Verantwortung zu entziehen, hier eine Lösung vorzulegen.

Die Union behauptet auch immer wieder, dass die Streichung des Paragraf 219a zu einer Kommerzialisierung von Schwangerschaftsabbrüchen führen wird. Wäre das nicht auch aus linker Sicht ein Problem?
Es ist im Berufsrecht der Ärzt*innen ohnehin schon untersagt, Werbung zu machen. Von daher sehen wir da auch überhaupt keine Schwierigkeit.

Ist mit der Streichung von Paragraf 219a denn genug getan?
Ich hoffe, die Debatte um 219a führt einerseits dazu, dass es in Zukunft bei den Beratungsstellen, die ja schon sehr gute Arbeit machen, noch mehr Transparenz gibt. Andererseits, dass durch die Debatte zukünftig auch im Medizinstudium Schwangerschaftsabbrüche gelehrt werden können. Wir brauchen diese Debatte auch, um das Tabu, überhaupt über Schwangerschaftsabbrüche zu reden, zu durchbrechen.

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