Vom Genossen Bundestrend gelinkt

Parteien der Berliner GroKo in Hessen abgestraft: CDU kann weiter regieren, SPD steht vor einem Scherbenhaufen

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.

Wiesbaden. Empfindliche Verluste für die »Großen«, klare Zugewinne für die bisherigen »Kleinen«. Und die AfD ist zweistellig im Landtag vertreten - das sind die markantesten Ergebnisse des Urnengangs in Hessen, zu dem am Sonntag 4,4 Millionen Menschen aufgerufen waren. Hauptverlierer des Abends sind Union und SPD, die ähnlich wie zwei Wochen zuvor bereits in Bayern in zweistelliger Höhe verloren. So rutschte die Partei des amtierenden Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) nach Stand der Hochrechnungen bei Redaktionsschluss beinahe auf ein so niedriges Niveau ab, wie sie es zuletzt im Jahre 1966 erreicht hatte. »Das ist ein Abend sehr unterschiedlicher Gefühle. Die Wahl war wie noch nie so komplett überlagert von der Bundespolitik«, erklärte Bouffier.

»Das ist alles unerfreulich, aber Volker Bouffier bleibt Ministerpräsident und die CDU die Nummer eins. Und damit haben wir unser Wahlziel erreicht«, versuchte der amtierende Landtags-Alterspräsident Horst Klee auf nd-Anfrage das Abschneiden seiner Partei zu beschönigen. So sei auch »der größte Druck auf Kanzlerin Angela Merkel weg«, erklärte der langjährige Wiesbadener Parlamentarier. »Der Druck auf Frau Nahles ist nach diesem Wahlabend größer«, prophezeite Klee hingegen schwere Zeiten für die erst vor einem halben Jahr bei einem Sonderparteitag gewählte SPD-Vorsitzende. Die hessische Delegation werde beim kommenden CDU-Parteitag »zu 95 Prozent Angela Merkel zur Vorsitzenden wiederwählen«, versicherte Klee.

Lange Gesichter und Schockstarre gab es bei der Hessen-SPD. Für sie ist der bei Redaktionsschluss prophezeite Absturz knapp unter die 20-Prozent-Marke im einstmals »roten Hessen« ein historisches Debakel. Manchen ihrer führenden Vertreter standen bei der Verkündung des Wahlergebnisses die Tränen in den Augen. »Dies ist eine bittere Niederlage für die Partei und mich«, erklärte Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel, der seit 2009 bereits dreimal in Folge als Spitzenkandidat angetreten war. »Gegen den Bundestrend waren wir völlig hilf- und machtlos«, so der SPD-Mann, der im Wahlkampf mit klassischen sozialdemokratischen Themen wie Bildung, Wohnung und Arbeit versucht hatte, sich vom negativen Bundestrend seiner Partei abzukoppeln. Er bescheinigte der Sozialdemokratie eine »langfristige Vertrauenskrise«.

Dass sich die Sozialdemokraten am Wahlabend in den Hochrechnungen lange ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Grünen um Rang zwei lieferten, ist für sie besonders schmerzlich. Schließlich waren die Grünen in Hessen Mitte der 1980er Jahre erstmals in ein SPD-geführtes Kabinett eingetreten und hatten seit fünf Jahren geräuschlos mit der Bouffier-CDU regiert. »So grün war Hessen noch nie«, freute sich Grünen-Landeschef Kai Klose vor jubelnden Anhängern im überfüllten Fraktionssaal, nachdem die erste Prognose nach Schließung der Wahllokale über die Bildschirme geflimmert war. Ein ähnlich starkes Ergebnis hatten die hessischen Grünen bislang lediglich bei den Kommunalwahlen im März 2011 erzielt, als sie kurz nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima ein Landesergebnis von 18,3 Prozent erreichten.

Während bis Redaktionsschluss unsicher war, ob die amtierende Schwarz-Grüne Koalition unter Volker Bouffier eine knappe Mehrheit behauptet oder möglicherweise auf die FDP angewiesen sein könnte, gehörten am Wahlabend auch die kleineren Parteien zu den Gewinnern. So stand früh fest, dass LINKE und FDP sicher und gestärkt wieder in den Landtag einziehen. Beide hatten vor fünf Jahren eine Zitterpartie erlebt und waren mit einem Ergebnis von 5,2 beziehungsweise 5,0 Prozent jeweils mit sechs Abgeordneten in den Landtag eingezogen. Beide werden jetzt mit mehr Mandaten vertreten sein. Nach Stand der Hochrechnungen liegt diesmal allerdings die FDP leicht vor der Linkspartei. FDP-Chef René Rock erklärte seine Bereitschaft zur Bildung einer »Jamaika-Koalition« mit CDU und Grünen.

»Wir haben stark zugelegt und unser Wahlziel erreicht«, freute sich LINKEN-Spitzenkandidatin Janine Wissler über den Zuwachs. Sollte am Ende des Wahlabends doch noch eine rechnerische Mehrheit für SPD, Grüne und LINKE herauskommen, so sei ihre Partei »bereit zu Gesprächen über einen Politikwechsel«, erklärte Wissler. »Dann liegt der Ball bei den Grünen.«

Mit dem Einzug in den Hessischen Landtag und einem zweistelligen Ergebnis ist die AfD nunmehr in allen 16 bundesdeutschen Landesparlamenten vertreten. In Hessen war letztmalig 1966 mit der NPD eine Partei der extremem Rechten in das Parlament eingezogen. 1970 flog sie allerdings wieder aus dem Landtag.

Zeitgleich mit der Landtagswahl konnten die 4,4 Millionen Wahlberechtigten auch über eine umfangreiche Änderung der Landesverfassung abstimmen. Angesichts des absehbar knappen und dramatischen Wahlausgangs stand diese Volksabstimmung allerdings im Schatten des medialen und öffentlichen Interesses. Der neue Hessische Landtag wird sich erst Mitte Januar konstituieren. Sollten sich die Hochrechnungen erhärten, so könnte das künftige Sechs-Parteien-Parlament aufgrund von Überhang- und Ausgleichsmandaten der größte Landtag in der Geschichte des 1946 gebildeten Bundeslandes werden.

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