Merkel und ich

Angela Merkel will nicht mehr CDU-Chefin sein. Irgendwann wird sie auch keine Kanzlerin mehr sein. Woran werden wir uns erinnern? Fünf persönliche Betrachtungen

  • Lesedauer: 6 Min.

Frauen, Familie, Fortschritt

Frauenthemen, oder was man darunter versteht, haben sie nie interessiert. Gender? Vielleicht kann sie das Wort schreiben, möglicherweise weiß sie aber nicht so recht, was das sein soll. Und dann war sie auch noch »Kohls Mädchen«, eine Zuschreibung, die abwertender nicht sein kann, will man eine Frau gleich zu Beginn ihrer Karriere verunglimpfen.

Blickt man heute auf die frauen-, familien- und gleichstellungspolitischen Errungenschaften aus der Zeit, in der Angela Merkel Kanzlerin war, lässt sich sagen: Diese Frau, die ihr Frausein nie thematisiert, im Gegenteil, ja sogar abmoderiert hat, hat die Republik in Gleichstellungs- und Vereinbarkeitsfragen modernisiert. Nicht radikal, aber spürbar. In den Jahren ihrer Kanzlerschaft wurden der Kitaausbau angeschoben und die Frauenquote eingeführt, das Sexualstrafrecht reformiert und die Ehe für alle ermöglicht. Jetzt gibt es Vätermonate und das Recht, von einer Teilzeit- auf eine Vollzeitstelle zurückzukehren. Und jede und jeder kann erfahren, ob sie oder er – im Vergleich zu Kolleg*innen – gerecht bezahlt wird.

All das sind nicht Merkels ureigene Themen, das waren sie nie. Und manche stammen aus sozialdemokratischer, grüner und linker Feder. Aber das ist egal. Denn das Ergebnis zählt: Vor Merkel war das Land eines mit unzufriedenen Müttern und Vätern, unter anderem weil die einen gar nicht oder zu wenig arbeiten konnten und die anderen nicht reduzieren durften. Mit Merkel hat sich dies – zumindest ein kleines bisschen – zum Besseren gewendet.
Simone Schmollack

Ein Lächeln nach Athens Unterwerfung

Anfang 2015 kommt in Griechenland das Linksbündnis Syriza an die Regierung und startet den Aufstand gegen das europäische Spar-Regime. Von Anfang an versucht Athen, die Diskussion zu politisieren. Es will nicht länger mit den Finanzministern der anderen Eurostaaten um Defizit- und Steuerprozente feilschen. Sondern die Sache auf die Ebene der Regierungschefs heben, um einen ganz neuen Ansatz und neue Regeln für alle zu schaffen.

Das wird ihr von der Bundesregierung verwehrt. »Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg«, sagt Angela Merkel und verweist auf die Finanzministerrunde als zuständiges Organ. Dort treffen die Griechen auf Wolfgang Schäuble – und an ihm prallen alle Wünsche und Forderungen ab: »Griechenland hat weit über seine Verhältnisse gelebt und muss sich jetzt der Realität annähern«, sagt er. Als Athen weiter dagegen hält, droht Schäuble mit Grexit.

Im Sommer ist Griechenlands Wirtschaft sturmreif geschossen, das Land steht am Abgrund. Erst jetzt steigt Angela Merkel in den Ring. Beim entscheidenden EU-Gipfel Mitte Juli kapituliert Athen auf ganzer Linie. Auf der anschließenden Pressekonferenz lobt Merkel das »gemeinsame Ergebnis« des Gipfels. Nun müsse Vertrauen wieder aufgebaut werden. Die Stimmung bei den Verhandlungen sei »für die vielen Stunden sehr sachlich« gewesen, sagt sie – und lächelt. Lächelnd eine Unterwerfung als Einigung zu bezeichnen und einen Sieg als Kompromiss – das ist eine Art der Diplomatie, die die geopolitischen Amateure auf Seiten von CSU und AfD niemals verstehen werden. Stephan Kaufmann

Klammheimliches Bedauern

Als Helmut Kohl nach 16 Jahren abgewählt wurde, herrschte fröhliche Aufbruchstimmung auf der Linken. Nun, da Angela Merkel nach 13 Jahren Kanzlerschaft ihren Rückzug einläutet, ist mindestens klammheimliches Bedauern unter Linken zu spüren. Selbst oppositionelle Pflichtübungen wie die, gleich noch ihren sofortigen Rücktritt anzumahnen, klingen irgendwie hohl. Und das liegt nicht nur daran, dass man beim Blick in die Umfragen keine Lust auf Neuwahlen bekommen muss.

Woran noch? Die CDU-Vorsitzende war nie eine links-ökologische Reformrakete. Im Gegenteil. War sie sympathisch, war es ihr Stil? Vielleicht. Der Frau wurden allerlei Wortschöpfungen gewidmet: asymmetrische Mobilisierung, postheroischer Regierungsstil. Gemeint war: Die tut nur so, klaut anderen die Themen, sie taktiert bis zur Ermüdung des Publikums, bleibt vage bis zur Unkenntlichkeit, tastet sich durch die Welt statt festen Schrittes ein erkennbares Programm zu verfolgen. Ein progressives schon gar nicht.

Warum dann aber dieser linke Merkel-Kater? Merkel funktionierte wie eine Projektionsfläche, in der die Schwäche des progressiven Lagers erträglicher erscheinen konnte. Zunehmend galt das seit 2015. Während sie vorne stand, rückte hinter ihr der Chor aus CSU-Kraftmeiern, AfD-Nachahmern, CDU-Machtboliden immer weiter nach rechts – Merkel blieb sie selbst. Alles nur eine Frage der Ent-Täuschung? Abwarten. Man denkt ja nicht ohne Grund, es war nicht alles schlecht, wenn man weiß, dass es noch ärger werden kann. Tom Strohschneider

Grenzen der Humanität

Wie wenig sie Schicksale von Geflüchteten interessieren, zeigte Angela Merkel im Juli 2015. Vor laufender Kamera brach die 14-jährige Palästinenserin Reem aus Angst vor einer drohenden Abschiebung nach Libanon bei einem Bürgerdialog in Rostock mit der Kanzlerin in Tränen aus. Merkel reagierte kühl. Es könnten nicht alle Flüchtlinge bleiben, sagte sie. Entscheidungen über Ausweisungen in Kriegs- und Krisengebiete gehören zum Alltag der Kanzlerin. Nichts Besonders. Zum Abschied tätschelte sie das Mädchen.

Merkel entschloss sich wenige Monate später ausschließlich aus pragmatischen Gründen dazu, Hunderttausenden Schutzsuchenden die Einreise nach Deutschland zu ermöglichen. Die CDU-Politikerin wusste, dass man die Menschen nur mit Gewalt aufhalten könnte. Das war für sie keine Option. Deswegen blieb die Grenze offen. Nicht wenige Flüchtlinge feierten Merkel als Heldin. Sie genoss dies und lächelte in die Smartphones von Asylbewerbern, die gemeinsame Fotos mit der Kanzlerin machten. Es passte in diese Zeit, dass auch Reem und ihre Familie bleiben durften.

Doch rechte Kreise inner- und außerhalb der CDU/CSU verlangten eine Rückkehr zur Abschottungspolitik. Das entsprach auch Merkels Überzeugung. Mittlerweile halten Despoten wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Schutzsuchende davon ab, in die EU zu kommen. Trotzdem gingen Merkel die Verbündeten in der Union aus, weil sie zu einem Symbol für eine zwischenzeitlich liberale Flüchtlingspolitik geworden ist. Damit wollen viele Konservative nicht mehr in Verbindung gebracht werden. Aert van Riel

Die Ostdeutsche

Als Angela Merkel am 12. April 1990 stellvertretende Regierungssprecherin beim ersten und letzten frei gewählten Ministerpräsidenten der DDR wurde, trug sie oft lange, etwas unförmige Strickjacken, die ihr eine damals vielleicht noch nicht vorhandene dicke Haut ersetzten. Gerade hatte sie das Wahldesaster des Demokratischen Aufbruchs unbeschadet überstanden. Der DA war tot, Angela Merkel lebte und startete eine nicht beispiellose, wohl aber große politische Karriere.

Die Frau sah aus, wie eine Konklusion all dessen, wofür der Osten, der noch DDR war, genommen wurde: Als sei er bereits Geschichte. Deshalb haben fast alle Angela Merkel unterschätzt. Aus dieser Fehleinschätzung erwuchs die Mär von »Kohls Mädchen«.
Damals dachten viele ostdeutsche Männer, die vorhatten, in der Politik zu bleiben oder Teil des Betriebs zu werden, es genüge, um den Stallgeruch abzulegen, sich eine andere Hülle zu kaufen.

Angela Merkel hat das nicht versucht. Stattdessen tauschte sie Strickjacke gegen Jacketts, denen heute ein gewisser Kultcharakter nicht abgesprochen werden kann. Kaum jemand ahnte 1990, dass in der Frau, die aussah, wie eine alterslose Zonengabi, eine Kriegerin wohnt. Eine Stellungskriegerin, der permanent vorgeworfen wurde, Koalitionen des Stillstands zu führen.

Möglicherweise werden wir irgendwann sowohl die Stille, als auch den Stand vermissen. Denn jetzt kommen wahrscheinlich die Kerle in den Anzügen. Kathrin Gerlof

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal