Ein Projekt für die Geschichtsbücher

Politiker von SPD und Grünen erinnerten an die Wahl Gerhard Schröders vor 20 Jahren zum Bundeskanzler

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat zu einer Festveranstaltung geladen. Zu Beginn spielen zwei Jazzmusiker auf und im Nebenraum werden Getränke für die Gäste vorbereitet. Das Interesse ist groß. Mehr als 600 Menschen sind gekommen. Einige stehen an Geländern, weil sie keinen Sitzplatz mehr ergattern konnten. Doch Partystimmung will nicht aufkommen. Das liegt offenbar an dem Thema, das diesen Abend bestimmt und das in der SPD noch immer kontrovers diskutiert wird. Vor fast genau 20 Jahren hat die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder ihre Arbeit aufgenommen.

Dieses Ereignis steht mit Wahltriumphen der SPD in Verbindung, der es nur dreimal gelang, mehr Stimmen bei einer Bundestagswahl zu erhalten als die Union - 1972, 1998 und 2002. Andererseits folgte auf Schröders Regierungszeit der Absturz der SPD. Dieser hat sich jüngst bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen fortgesetzt.

Linke Sozialdemokraten machen die neoliberale Politik ihrer Partei und die Große Koalition für den Niedergang verantwortlich. Sie kommen aber bei der Veranstaltung nicht zu Wort. Eingeladen sind stattdessen die Protagonisten von einst und Vertreter der aktuellen SPD-Spitze. Auf dem Podium steht Stiftungschef Kurt Beck und erinnert an den Atomausstieg von Rot-Grün und die damaligen »Arbeitsmarktreformen«. Dann stellt er einige Gäste vor. Der anwesende frühere Finanzminister Eichel wurde wegen seiner dosierten Austeritätspolitik der »eiserne Hans« genannt. Beck lobt, dass sein Genosse gespart habe.

Dann fällt der Blick von Beck auf Walter Riester, der in der ersten Reihe sitzt. Riester war für die SPD Arbeitsminister. Mit der von ihm vorangetriebenen Rentenreform half er Versicherungen und Banken, die ihre Profite steigern konnten. Das kam auch Riester selbst zugute. Er wechselte nach seinem Ausscheiden aus der Politik zu einem Finanzdienstleister. Über die Rente werde »immer noch geredet«, bemerkt Beck süffisant.

Als der frühere SPD-Chef seine Rede beendet hat, gehen Schröder und der einstige Umweltminister Jürgen Trittin auf die Bühne und nehmen dort Platz. Der Altkanzler lächelt überlegen und erinnert an seine Wahlerfolge um die Jahrtausendwende. »Die SPD war damals deutlich stärker als die Grünen«, bemerkt Schröder. Dann fügt er hinzu: »Auch als die Grünen heute.« Inzwischen hat die Ökopartei die SPD bei Landtagswahlen und in den bundesweiten Umfragen hinter sich gelassen. Schröders Rückblick auf seine Regierungszeit fällt nüchtern aus. Es sei vieles erreicht worden, aber nicht alles sei gelungen.

Heute erhält Schröder sein Geld von russischen Unternehmen. Er ist unter anderem Aufsichtsratschef des Mineralölkonzerns Rosneft. Bereits in seiner Zeit als Kanzler hatte sich Schröder um bessere Beziehungen mit Russland bemüht. Dies bezeichnet er »als Fortsetzung der Entspannungspolitik von Willy Brandt«.

Schröder und Trittin kennen und schätzen sich schon lange. Der Grüne verweist darauf, dass beide bereits zu Beginn der 90er Jahre in der niedersächsischen Landesregierung zusammengearbeitet hatten. Nach den Worten Schröders habe seine SPD nur notgedrungen Koalitionen mit den Grünen geschmiedet, weil sie damals für viele seiner Parteikollegen als radikal galten.

Die Zeiten haben sich geändert. Auch schwarz-grüne Koalitionen sind längst Normalität. Der Frage von Moderatorin und rbb-Journalistin Angela Ulrich, ob die Grünen eine bürgerliche Partei seien, weicht Trittin aus. Nach seiner Meinung gebe es keine bedeutende Partei in Deutschland, die nicht bürgerlich sei. Als vermeintlichen Beleg führt er an, dass auch die LINKE-Politiker Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine in gut situierten Verhältnissen leben.

Die deutschen Kriegsbeteiligungen in Kosovo und Afghanistan, welche Rot-Grün abgesegnet hatte, nennt Trittin »bittere Entscheidungen«. »Mutig war aber, dass wir uns nicht an dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in Irak beteiligt haben«, ruft Trittin. Schröder sieht das ähnlich. Zudem verteidigt er den Sozialabbau. Wenn die SPD noch heute zur Agenda 2010 stehen würde, müsste sie sich um »ökonomische Kompetenz« keine Sorgen machen.

Am Ende teilt er gegen Kanzlerin Angela Merkel aus, die mit ihrer Union im Jahr 2005 die Wahl gegen Schröders SPD gewonnen hatte. Nun erwartet Schröder bis spätestens Mitte nächsten Jahres eine vorgezogene Bundestagswahl. Er geht davon aus, dass Friedrich Merz im Dezember zum neuen CDU-Chef gewählt wird und dann kaum »die besonderen Loyalitäten« übrig haben werde, die erforderlich seien, damit Merkels Vorstellung von einer Fortführung ihrer Kanzlerschaft funktioniere.

Für die Diskutanten gibt es viel Applaus. Die Fragen aus dem Publikum lassen vermuten, dass hier viele eingefleischte Fans der einstigen rot-grünen Koalition sitzen. Ein älterer Herr wünscht sich die Rückkehr Schröders in die Politik, was dieser mit der ironischen Bemerkung beantwortet, dass er keinen Ortsverein der SPD finde, »der mich vorschlägt«. Ein anderer Fragesteller gibt sich als Mitglied des Managerkreises der Friedrich-Ebert-Stiftung zu erkennen. Der Managerkreis hatte 2013 das zehnjährige Jubiläum der Agenda 2010 gefeiert.

Beim abschließenden Podiumsgespräch der Parteivorsitzenden Andrea Nahles und Annalena Baerbock ist die Stimmung angespannt. Denn die SPD sieht die Grünen vor allem als Konkurrentin um Wählerstimmen. Baerbock sagt, die Grünen hätten bei den Koalitionsverhandlungen mit Union und FDP »rote Linien« gezogen. Nahles interveniert. Sie weist darauf hin, dass die FDP diese Verhandlungen platzen ließ. Ansonsten hätte es wohl mit »Jamaika« geklappt. Für die Grünen hätte dies viele schmerzhafte Kompromisse bedeutet.

Als sie auf die Krise ihrer Partei angesprochen wird, rutscht Nahles auf ihrem Sessel hin und her. Sie spricht von »Vertrauen« und »Zuversicht«. Diese Gefühle müsse die SPD wieder bei ihren Unterstützern wecken. Zerknirscht räumt Nahles ein, dass die Sozialdemokraten heute von den Grünen lernen könnten, dass diese »fokussiert« und »fröhlicher bei der Sache« seien. Dann lächelt sie gequält Baerbock an. Diese grinst zurück. Eine Kollegialität wie zwischen Schröder und Trittin ist zwischen ihnen nicht zu spüren. Das rot-grüne Projekt, das mittlerweile lediglich in den Stadtstaaten Hamburg und Bremen mit eigener Mehrheit regieren kann, wird wohl nur noch in den Geschichtsbüchern Erwähnung finden.

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