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Der Dokumentarfilm »Female Pleasure« erzählt von fünf Frauen, die sich für sexuelle Selbstbestimmung einsetzen

  • Paula Irmschler
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein großer Brocken Knete liegt in einem Raum. Daraus wurde eine Vagina modelliert, mit allen Einzelheiten, bunt und schön. Die Therapeutin und Aktivistin Leyla Hussein zeigt ein paar jungen Männern, was bei einer FGM (die Abkürzung für die englische Bezeichnung female genital mutilation - weibliche Genitalverstümmelung) mit den weiblichen Genitalien meist junger Mädchen passiert. Sie nimmt eine große Schere und beginnt: erst der äußerlich sichtbare Teil der Klitoris. Dann der innen liegende.

Schließlich die inneren Schamlippen und zuletzt die äußeren. Mit einer großen Nadel und einem Faden näht sie die übrig gebliebene Knethaut so zusammen, dass nur noch ein kleines Loch bleibt. Im Anschluss zeigt sie Bilder von genitalverstümmelten Mädchen. »That’s torture«, sagt einer der jungen Männer mit Tränen in den Augen. Ja. Es ist Folter an Mädchen und Frauen, denen schon früh vermittelt werden soll, dass ihre Körper falsch und kontrollierbar sind, dass ihre eigene Sexualität keine Rolle spielen darf und dass sie nicht über sich und ihre Lust bestimmen dürfen.

Die Szene aus dem neuen Dokumentarfilm von Barbara Miller ist eigentlich unerträglich. Dabei sind das Schicksal und der Kampf von Leyla Hussein gerade mal eine von insgesamt fünf Geschichten, die in dem Film »Female Pleasure« erzählt werden.

Während Hussein in einer muslimischen Community sozialisiert wurde, selbst von FGM betroffen ist und heute über die gefährliche Praxis aufklärt, ist Deborah Feldman in einer orthodox-jüdischen Sekte in New York aufgewachsen. Sie wurde mit 17 Jahren zwangsverheiratet, sexuell missbraucht, bekam ein Kind und beschloss, mit diesem die zutiefst frauenverachtende Gemeinschaft zu verlassen. Ihr Buch »Unorthodox« handelt von ihren Erfahrungen und ihrem Weg. Es wurde ein Bestseller.

Doris Wagner hat ihre Erlebnisse ebenfalls in einem Buch thematisiert. Sie ging mit 19 Jahren ins Kloster, zur christlichen Sekte »Das Werk«. Auch ihr Leben wurde streng kontrolliert, sie wurde ebenfalls sexuell missbraucht, bis sie sich nach einem langen, schmerzhaften Prozess befreite.

Die indische Menschenrechtlerin Vithika Yadav hat die Plattform »Love Matters« ins Leben gerufen, um der Rape Culture in Indien etwas entgegenzusetzen und Frauen und Männern die Möglichkeit zu geben, zu einer eigenen, befreiten Sexualität zu finden. »Ich beschloss, die Kultur des Schweigens zu beenden«, sagt sie.

Und schließlich ist da noch die japanische Manga- und Skulpturenkünstlerin Rokudenashiko, die Tabuisierungen von Vaginadarstellungen brechen wollte, indem sie online die 3-D-Scandaten ihrer Vagina bereitstellte und dafür wegen »Obszönität« zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.

All diese Frauen beschäftigen sich aus biografischen Gründen mit gesellschaftlich drängenden Fragen, und jede hat ihren eigenen Weg gefunden, sie zu beackern. Aus traumatisierenden Erfahrungen sind politische Kämpfe geworden - gegen Misogynie, Religion, Lustfeindlichkeit, Scham und Gewalt. Barbara Miller, die sowohl das Drehbuch schrieb als auch Regie führte, hat im Grunde keinen Film über »pleasures« gemacht, sondern über all die Steine, die im Weg liegen und die diese Vergnügen für Frauen unzugänglich machen, und über unterschiedliche Wege, diese Steine zu entfernen.

Das weibliche Geschlecht wird verstümmelt, tabuisiert, kriminalisiert, missbraucht und kontrolliert. »Female Pleasure« schafft es auf beeindruckende Weise, misogyne Gewalt in ihren unterschiedlichen Ausprägungen, aber auch in ihren Gemeinsamkeiten darzustellen. Denn die Geschichten der Frauen sind nicht nur individuelle Erfahrungen, all diese Frauen sind repressiven Strukturen ausgesetzt, unzähligen Frauen widerfährt Gewalt in gleicher oder ähnlicher Weise.

Es ist ein nicht wirklich witziger Treppenwitz, dass der Film nicht ausreichend über soziale Medien vermarktet werden kann - wegen »sensibler Inhalte«. Aber seine Dringlichkeit wird zur Folge haben, dass die im Film aufgeführten Argumente und gehaltenen Plädoyers sich durchsetzen werden. Genau wie die fünf mutigen Frauen, von denen der Film erzählt, sich durchkämpfen werden. Das Bild von Rokudenashiko, die in einem Kajak, das die Form ihrer Vagina hat, übers Wasser schippert und dabei herzlich lacht, wird mit Sicherheit noch ein großes feministisches Symbolbild werden.

»Female Pleasure«, Schweiz/Deutschland 2018. Regie/Buch: Barbara Miller; Darsteller: Deborah Feldman, Leyla Hussein, Rokudenashiko, Doris Wagner, Vithika Yadav. 101 Min.

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