Riskanter Neuanfang in Magdeburg

Folge 143 der nd-Serie »Ostkurve«: Der 1. FCM beendet mit der Trainerentlassung eine erfolgreiche Ära

Es war einmal … So beginnt seit Montagabend auch das Magdeburger Märchen der Fußballneuzeit. Der 1. FCM hat Jens Härtel beurlaubt. »Den erfolgreichsten Trainer seit Krügel entlassen. Ihr werdet es noch bereuen!« Ein Banner mit dieser Aufschrift hing am Dienstagmorgen an den Eingangstoren des Magdeburger Stadions, andere Protestplakate waren in der Stadt zu sehen. Bei den Fans war der 49-jährige Coach extrem beliebt. Weil er, wie einst vor langer Zeit Heinz Krügel, große Träume hat wahr werden lassen. Und weil er, wie sein berühmter Vorgänger, ein ehrlicher und geradliniger Typ ist.

Für Gefühle war am Dienstag nur wenig Platz. Mario Kallnik sprach von »Fakten«: »neun von 39 möglichen Punkten, kein Heimsieg, mit die meisten Gegentore in der Liga, vier verlorene Spiele in Folge.« So begründete der Geschäftsführer des Klubs die »einstimmige Entscheidung der Gremien«. Kallnik saß allein auf dem Podium. Ein passendes Bild für den Neuanfang in Magdeburg. Denn die beiden Aufstiege von der Regionalliga bis in die 2. Bundesliga innerhalb von vier Jahren hatten sie als Erfolgsduo geschafft - Kallnik, seit 2012 im Verein, und Härtel, der zwei Jahre später zum FCM kam.

»Neues vom Krügel-Platz« - so heißt ein FCM-Podcast vom MDR. Dort spricht montags unter anderem Guido Hensch als Fußballexperte des Senders über den Klub. Über Heinz Krügel wird nicht diskutiert. Der 2008 verstorbene Trainer ist eine unantastbare Legende. Zwischen 1969 und 1975 führte er den 1. FC Magdeburg zu drei Meistertiteln in der Oberliga, zu zwei Siegen im FDGB-Pokal und 1974 zum einzigen europäischen Titel eines DDR-Klubs. Der Platz vor dem Magdeburger Stadion trägt seit 2009 seinen Namen. Weil Krügel beharrlich Anweisungen der DDR-Sportführung missachtet hatte, wurde er 1976 auf Lebenszeit gesperrt. Danach wurde der FCM noch drei Mal Pokalsieger und blieb ein Spitzenklub in der Oberliga. Die Zeit der ganz großen Erfolge aber war vorbei. Dies verführte Guido Hensch neulich zu einem interessanten Vergleich. In der Oberliga sei vieles einfacher gewesen, schon durch die Delegation von Spielern zu den Klubs. »Jetzt haben wir Kapitalismus, jetzt entscheidet das Geld.«

Dass die Ankunft im Profifußball mehr als ein Vierteljahrhundert nach der Wende höher einzuschätzen und mehr Wert ist als beispielsweise ein dritter Platz in der DDR-Oberliga mit europäischem Startrecht, diese Meinung teilen nicht wenige mit Hensch. Der Abgesang auf den 1. FC Magdeburg in den vergangenen Wochen? »Das ist lächerlich«, meint er - und hat damit durchaus recht.

Das Ziel nach dem Aufstieg in die zweite Liga im Sommer war klar: Klassenerhalt. Und auch die Wahl der Mittel sollte eigentlich unumstritten sein. Schon in der dritten Liga glänzten die Magdeburger nicht spielerisch, sondern kämpferisch. Basis war immer eine stabile Defensive. Dass dies eine Liga höher weitaus schwieriger werden würde, ist auch kein Geheimnis: Es herrscht ein enormer Qualitätsunterschied zwischen Dritt- und Zweitklassigkeit.

»Die Personalkosten sind die extremsten. Im Wettbewerb um Spieler kann man sich sehr schnell finanziell übernehmen«, sagte Kallnik vor zwei Jahren über die dritte Liga. Eine Etage höher ist das Risiko noch größer. Und so verpflichtete Mario Kallnik acht ablösefreie Spieler, die Transferausgaben von 500 000 Euro verteilten sich auf zwei Spieler. Nur zwei der Neuverpflichtungen konnten überhaupt nennenswerte Erfahrungen aus der zweiten oder ersten Liga in die Mannschaft einbringen. Den Kern des Aufstiegsteams zusammenzuhalten, ist eine schöne Sache. Die Qualität aber nicht entscheidend zu heben, ist ebenfalls ein Risiko. Das Ergebnis: Vorletzter nach 13 Spieltagen mit den zweitmeisten Gegentoren der Liga und der fünftschlechtesten eigenen Torausbeute. Kallniks Kritik an dieser spielerischen Schwäche trifft jedenfalls auch seinen eigenen Verantwortungsbereich.

»Wir wissen auch nicht, wie es weitergeht«, sagte Kallnik am Dienstag. Das ist kein Ausdruck von Ratlosigkeit, sondern das Bewusstsein, mit dem Trainerwechsel ein neues, nicht kalkulierbares Risiko einzugehen. Ob der neue Trainer mehr aus dem Kader herausholen kann, weiß niemand. Ebenso nicht, ob Härtel als Anführer eines verschworenen Haufens das Saisonziel erreicht hätte. Dass die Entscheidung das Ergebnis einer permanenten und ehrlichen Analyse sei, auch zusammen mit Jens Härtel, nimmt man Kallnik ab. Auch, dass sie im wehtue. Letztlich folgte er aber seiner klaren Linie: »Stillstand werde ich nicht dulden«, erzählte Kallnik »nd« schon vor zwei Jahren.

Mit seiner Arbeit hat auch Kallnik den Verein entscheidend vorangebracht. Er handelt aus Überzeugung, getreu dem Magdeburger Motto, das er auch am Dienstag bemühte: »Der Klub steht über allem.« Insofern muss man mit der Beurteilung des Trainerwechsels wohl bis zum Saisonende warten. Eine Antwort gibt es schon an diesem Mittwoch. Dann soll der neue Coach vorgestellt werden. Weil der FCM seit drei Jahren auch intensiv den Trainermarkt beobachtet und dabei auch stets Gespräche führt, um die Persönlichkeit hinter dem Namen kennenzulernen, geht es so schnell.

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