• Kultur
  • Walt Disneys Empirium

Adornos Käse

Glückwünsche zu Mickey Maus' 90. Geburtstag

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

Walt Disneys erster Tonfilm »Steamboat Willie« startete am 18. November 1928. Micky Maus (im englischen Original: Mickey Mouse) als Matrose: aufreizend fürwitzig, entwaffnend heiter - die graue Maus als bunter Vogel. Ein anarchisches Programm. Zunächst. Erfolg aber verpflichtete zur Einebnung - so das Schicksal aller, die auf Mehrheit setzen. Dieses Prinzip meisterte Micky Maus besser als alle Volksvertreter aller Zeiten. Obwohl die allemal mehr Maus waren - und sind.

Micky war einst (im Film) ein Leicht-Matrose und ist längst - wie »Die Zeit« schrieb - ein »Kommerzkrake« geworden. Ach, geschenkt. Man muss doch nicht jeden ökonomiekritischen Käse mitdenken, der ungetrübte Begeisterung dauernd in die sozialkritische Mausefalle locken will. Adorno bezeichnete Disney als Volksfänger, als gefährlichsten US-Amerikaner - so was Blödes! Herrlicher Sieg der Poesie, dass in meiner Kaufhalle das neueste Micky-Maus-Heft liegt und nicht die »Dialektik der Aufklärung«.

Das Werk des Disney-Zeichners Carl Barks mutet wie ein Freud’scher Traumtext voller Rätsel an. Mit seinen gigantischen Übertreibungen, den surrealen Fügungen und der gelegentlichen Schwerelosigkeit spricht der Comic unser wunderbar standhaftes Flucht-Bedürfnis an. Das wir ständig verleugnen. Wir wollen ja funktionieren. Für Chefs und Gesinnungen, für Gewöhnungen und Feigheiten. Micky Maus bleibt der wunderbare Zwangsentertainer in einer Spielschule, in der wir über das lachen, was uns täglich als Grundgesetz heimsuchen will: die Aufforderung zum korrekten Geschäftsablauf.

Aber freilich: Mag Micky Maus Disneys lustige Erfindung eines Wunders gewesen sein, Donald Duck war eindeutig die noch listigere Erfindung: jener Wunder nämlich, die aus einer Ente einen Pechvogel machen. Also einen noch wahrhaftigeren Menschen. Spießig, neidisch, aktionistisch und von nerviger Selbstüberhebung! Micky Maus ist eine Maus, Donald Duck aber ist keine Ente. Er sieht nur so aus. Er verschwendet alle körperliche Energie in ein grandioses Erschöpfungsfest, in dem sich seine Verwertbarkeit für die Karriere blamabel erledigt. Just durch diese Form von unaufhörlicher Selbstzerstörung - die am Leben erhält! - wurde er zum Herold von uns Austauschbaren, die wir uns für unsere Individualität lebensmüd strampeln.

Als Jack Nicholson noch ein sehr junger Schauspieler war, ging er an einem Restaurant vorüber, sah drinnen Walt Disney. Er wusste, dass der Störungen hasste. Ging trotzdem hinein, kam nach wenigen Minuten zurück, sonnte sich im Staunen seiner Begleiter: Dass er das gewagt habe! Was nur hat er dem Meister zugeflüstert? Nicholson: »Dass ich Joseph Barberas Tom und Jerry immer besser fand als Mickey Mouse.«

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal