Um Afghanistans Präsidenten wird es einsam

Abgeordnete fordern die Entlassung prowestlicher Regierungsmitglieder

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.

In Westeuropa und den USA ist der Mittfünfziger mit dem silberweißen Haar gut gelitten, das afghanische Parlament dagegen fordert seine Entlassung: Die Rede ist von Afghanistans Außenminister Rangin Dadfar Spanta. Die Volksvertreter werfen ihm Mangel an Durchsetzungsvermögen auf internationalem Parkett vor, wodurch nationale Interessen auf der Strecke blieben.

Anlass für das Misstrauensvotum gegen den afghanischen Chefdiplomaten Anfang Mai war der Konflikt mit Iran. Der Nachbarstaat hatte nach westlichen Sanktionen wegen seines Kernforschungsprogramms mit Destabilisierung in Afghanistan gedroht. Worten folgten Taten: Als Afghanistan einen Grenzfluss aufstaute, wies die Islamische Republik 90 000 afghanische Kriegsflüchtlinge aus. Für deren Wiedereingliederung fehlen Kabul natürlich die Mittel - trotz Milliardenspritzen der »internationalen Gemeinschaft« seit dem Sturz der Taliban Ende 2001. Ein Gutteil davon versickert in den Taschen korrupter Beamter. Vor allem das Gerangel um die Kontrolle der Aufbauhilfe bringt den Machtkampf am Hindukusch auf Touren. Eben darin ist die eigentliche Ursache für das Hickhack um Spanta und andere prowestliche Minister zu suchen. Die meisten von ihnen haben den Einmarsch sowjetischer Truppen, den Bürgerkrieg und die Taliban-Herrschaft aus westeuropäischem Exil beobachtet. Spanta und sein für Wirtschaft zuständiger Kollege Amin Farhang lebten in Deutschland. Mehr Akademiker als Politiker, brachten sie die politische Kultur ihres Gastlandes mit nach Hause, zu der sie Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Gleichheit der Geschlechter zählen - Werte, mit denen eine Bevölkerung, die seit 30 Jahren Gewehrläufe als einzige Quelle der Macht erlebt und zu 90 Prozent aus Analphabeten besteht, wenig anfangen kann. Sogar das Parlament besteht zu 70 Prozent aus Mudschaheddin, die nur mit Mühe lesen und schreiben können. Bei kontroversen Debatten fliegen schon mal Gegenstände oder Kies durch den Plenarsaal. Das Kesseltreiben gegen Spanta ist zudem die Retourkutsche für Regierungsumbildungen im vergangenen Jahr. Damals entließ Präsident Hamid Karsai sämtliche Minister der von der tadshikischen Minderheit dominierten Nordallianz, die einst die Taliban entmachtet hatte. Geschasst wurde auch der bis dahin amtierende Außenamtschef Abdullah Abdullah. Die einstigen Nordallianzler bilden inzwischen den harten Kern der Opposition, die in beiden Kammern des Parlaments über satte Mehrheiten verfügt. Sie sind auch die Architekten eines Bündnisses mit ehemaligen Mitgliedern der Demokratischen Volkspartei, die während der sowjetischen Besatzung regiert hatte, und mit Königstreuen. Dieses Bündnis formierte sich Ende April, um Präsident Karsai zu entmachten. Unmittelbar nach diesem Zusammenschluss verlangte das Parlament die Entlassung von Außenminister Spanta und Flüchtlingsminister Akbar Akbar. Letzteren ließ Karsai inzwischen fallen, Spanta dagegen, über dessen Fall das Oberste Gericht verhandelt, will er unbedingt retten. Denn die Reihen der Verbündeten des Präsidenten haben sich bereits stark gelichtet. Eben deshalb hatte Karsai im vergangenen Herbst die Flucht nach vorn angetreten: Mit den Taliban, die wie er selbst und Spanta zur Mehrheit der Paschtunen gehören, ließ er Möglichkeiten für eine Regierungsbeteiligung der Islamisten sondieren. Die indes spielen auf Zeit. Denn damit steigen ihre Chancen, Karsai und dessen Re...

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