Vorzüglich

Klaus Höpcke zum 85.

  • Frank Schumann
  • Lesedauer: 4 Min.

Sein Büro befand sich in der Berliner Clara-Zetkin-Straße. Heute residiert dort, natürlich hinter schicker Fassade, das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, also auch eine Art Propagandaministerium. In Deutschland hält man eben an Traditionen fest. Auch an unglücklichen. Die Frauenrechtlerin Clara Zetkin etwa ist nicht mehr, dafür heißt diese Parallele zum Boulevard Unter den Linden wieder Dorotheenstraße: benannt nach Dorothea, der Frau des Brandenburger Kurfürsten Friedrich Wilhelm, von der es hieß – sogar bei Fontane –, sie sei intrigant, habgierig, geizig, falsch und böse gewesen, selbst vorm Giftmord habe sie nicht zurückgeschreckt. Auch diese Historie lag bei Höpcke auf den Tischen, in Bücher gepresst und zu Stapeln getürmt. Er war dafür zuständig.

Zu ihm musste ich einmal zum Interview ganz am Anfang meines Journalistenlebens. Worüber wir sprachen, weiß ich nicht mehr. Mich beeindruckte weitaus nachhaltiger sein Arbeitszimmer, dessen Möbel unter der Unmasse von Papieren und Gedrucktem kaum zu erkennen waren. Wir nahmen Platz an einem runden Tisch in der linken Ecke, zuvor musste Höpcke aber erst die Stühle freiräumen. Er konnte den Journalisten in sich wahrlich nicht leugnen: immer in Eile, immer ein wenig über den Dingen schwebend, immer ein wenig nachlässig mit der eigenen Umgebung ... Es sah bei ihm aus wie in meiner Redaktion. Das machte ihn nahbar und sympathisch.

Warum man den langjährigen Literatur-Redakteur des Neuen Deutschland mit 39 Jahren zum »Literaturminister« gemacht hatte: Das wissen die Götter. Und die sind nicht mehr. Aber ich glaube nicht, dass er beim Parteibeschluss so reagiert haben wird wie David Groth: »Ich will aber nicht Minister werden.« So lautete jedenfalls dessen erster Satz in Hermann Kants Buch »Das Impressum«, welches 1972 erstmals erschienen war, im Jahr vor Höpckes Berufung als Stellvertreter des Kulturministers und Leiter der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel. Er wollte gewiss. Und blieb es schließlich länger als sechzehn Jahre. Über diese Zeit und Höpckes Amtsführung ist viel gesagt und geschrieben worden, Durchdachtes wie Dämliches. Sagen wir mal so: Sein Helm weist viele Beulen auf, einige stammen auch vom Klassenfeind.

Ich erinnere mich noch der Verwunderung, die ich Anfang ’89 in der von mir geleiteten Kulturabteilung einer anderen großen DDR-Tageszeitung (»Junge Welt«) mit der Mitteilung auslöste, Klaus Höpcke habe einer Erklärung des P.E.N.-Zentrums DDR nicht widersprochen, mithin also zugestimmt, in welcher die »umgehende Entlassung von Vaclav Havel« aus der Haft verlangt worden war. Ich musste das mitteilen, denn es stand nicht in der Zeitung. Das übersteht er nicht, meinten wir mitleidig. Wir wussten, wie der Apparat tickte. Wir irrten nicht. Prag protestierte wegen der vermeintlichen Einmischung in seine inneren Angelegenheiten durch ein Mitglied der DDR-Regierung. Höpcke wurde noch am gleichen Tage abberufen – blieb aber trotzdem im Amte. Hermann Kant hatte schriftlich bei Honecker interveniert. »Dass man in einem sozialistischen Lande einen sehr beachtlichen Schriftsteller ins Gefängnis wirft, ist ungefähr das Letzte, was wir gebrauchen können«, hatte der Schriftstellerpräsident den Staats- und Parteichef wissen lassen. »Aus jahrzehntelanger Zusammenarbeit mit Genossen Höpcke kann ich die Behauptung ableiten, dass dieser ein vorzüglicher Mann ist, den ich durch keinen anderen ersetzt sehen möchte.«

Er wurde es im Herbst aber doch, weil er, zwölf Tage nach Honeckers Sturz am 18. Oktober ’89, zum Leiter der Kulturkommission beim Politbüro des ZK der SED berufen wurde. Diesem Amt war, wie so vielen seinerzeit gegründeten, nur ein kurzes Leben beschieden. Dafür muss man Klaus Höpcke nicht rühmen. Wohl aber, dass er in jener Zeit maßgeblich dafür sorgte, wichtiges DDR-Archivgut vor Plünderern und Leichenfledderern aus dem Westen zu sichern. Zu Beginn der 1990er Jahre brachte er nämlich mit Gesinnungsgenossen die »Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR« (SAPMO) auf den Weg. Das war (und ist) eine unselbständige Stiftung des öffentlichen Rechts im Bundesarchiv, in der seither seriös und solide am DDR-Nachlass geforscht und gearbeitet wird. Verständlich, dass von verschiedener Seite und seit langem gefordert wird, auch die sogenannten Stasi-Unterlagen dorthin zu überführen.

Die meisten Bücher, die zwischen 1973 und 1989 in der DDR erschienen, wären auch ohne Klaus Höpcke gekommen, das ND hätte auch ohne einen Kulturchef Höpcke passabel ausgesehen, und Thüringens Ministerpräsident hieße trotzdem Ramelow, selbst wenn Höpcke im Thüringer Landtag nicht Fraktionschef der PDS gewesen wäre. Das alles ist vergangen und Geschichte. Aber die Rettung der DDR-Archive bleibt unverändert eine rühmenswerte Tat: Dafür werden ihm noch Generationen danken.

Wir tun es schon mal heute - an seinem heutigen 85. Geburtstag.

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