Politik kontra Wissenschaft

Tagung zur Geschichte der HVA in der Kritik / Birthler zieht Experten zurück

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.

Das Thema Staatssicherheit hat in den vergangenen Jahren die Aufarbeitung der DDR-Geschichte dominiert. Eine Experten-Tagung mit Beteiligung früherer Topspione ist nun ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, die Birthler-Behörde zog ihre Experten zurück. Darunter leidet vor allem die Wissenschaft.

Eigentlich wollte Thomas Wegener Friis von der dänischen Syddansk Universtität in Odense einen Beitrag dazu leisten, »die Geschichte der DDR-Spionage im Westen auf eine wissenschaftliche Grundlage« zu stellen. Der 1975 geborene Historiker ist Koordinator des Zentrums für das Studium des Kalten Krieges und hat Experten sowie Zeitzeugen zu einer Konferenz nach Berlin geladen - darunter frühere Topspione wie Rainer Rupp, der bei der NATO unter dem Decknamen »Topas« wirkte.
Doch die Pläne für die Tagung sind nach Kritik von DDR-Opferverbänden nun Makulatur. Die Birthler-Behörde sagte die Teilnahme ihres Experten Helmut Müller-Ensberg wieder ab. Begründung: Man lasse sich »nicht für die Legitimation des MfS und seiner Vertreter instrumentalisieren«.
Hintergrund der Absage der »ursprünglich geplanten Beteiligung« ist offenbar die vehemente Kritik von DDR-Opferverbänden. So hatte sich unter anderem die Leiterin des Mauermuseums am Checkpoint Charlie, Alexandra Hildebrandt, in Briefen an die Humanistische Fakultät der Odenser Universität gewandt und gefordert, »dafür Sorge zu tragen, dass diese Veranstaltung nicht stattfindet«.
Auch der Bund der Stalinistisch Verfolgten hatte protestiert. Unter anderem wurde auf den Termin der Tagung verwiesen, die am 16. und 17. Juni stattfinden soll. Man empfinde es »als eine Beleidigung unserer Mitglieder«, erklärte die Gemeinschaft ehemaliger politischer Häftlinge, dass die Konferenz ausgerechnet am »Jahrestag des Aufstandes gegen die Willkürherrschaft der DDR« abgehalten werde. Das Vorhaben sei »geradezu makaber und eine politische Provokation«, so Hildebrandt. Man könne »unmöglich den Tätern ein öffentliches Forum zur Selbstdarstellung bieten«.
Mit derselben Argumentation hat nun auch die Birthler-Behörde auf die Pläne zu der Tagung reagiert. »Die Verbrechen des Ministeriums für Staatssicherheit einschließlich der HVA verbieten es nach Auffassung der Bundesbeauftragten, führenden Vertretern dieses Apparates ein öffentliches Podium zu verschaffen.« Birthler äußerte zwar Verständnis, dass zur »Beschäftigung mit dem Thema Geheimdienste auch gehöre, die Sichtweisen der Täter zu rekonstruieren«. Es sei aber nicht ersichtlich, wie »die Berichte der auftretenden ehemaligen MfS-Mitarbeiter hermeneutisch wieder eingeholt und reflektiert werden sollen«.
Thomas Wegener Friis versteht, dass das Thema »in Deutschland starke Emotionen weckt«. Die »Zeit für einen Dialog mit den Zeitzeugen« sei jedoch »überreif«, sagte er dem ND. Wichtige Akteure seien bereits in einem hohen Alter, viele Funktionäre des MfS bereits verstorben. Hier hätten Historiker die Chance, mit Mitteln der Oral History zur Aufarbeitung beizutragen, bereits »definitiv verpasst«.
Wegener Friss verwahrte sich auch gegen den Vorwurf, früheren Stasi-Mitarbeitern ein Podium zur Selbstdarstellung zu bieten. »Nach so vielen Jahren lässt die Erinnerung natürlich auch etwas nach«, so der Forscher, deshalb sei »natürlich kritische methodische Überlegungen gefragt« - aber das gehöre ohnehin »zum historischen Handwerk«. Gerade angesichts der teils dürftigen Quellenlage müsse ein realistisches Bild »aus vielen Mosaiksteinchen zusammengefügt werden«. Und dabei sind dann auch die Zeitzeugen gefragt. Es sei nicht leicht gewesen, frühere DDR-Spione zur Teilnahme zu bewegen, sagt Wegener Friis.
Der Dekan der Humanistischen Fakultät der Odenser Uni, Flemming G. Andersen, zeigte ebenfalls Verständnis für die Proteste. Den Vorwurf eines unkritischen Umgangs mit Zeitzeugen könne man aber allenfalls »ausgewählten Medien« machen, nicht jedoch der Wissenschaft. Historiker seien »geradezu in der Pflicht, zugängige Quellen nicht zu ignorieren«, so Andersen.

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