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Hybrides Kommando an der virtuellen Front

Im Umfeld des »Cyber- und Informationsraums« der Bundeswehr überschneiden sich Militärisches und Ziviles

  • Christoph Marischka
  • Lesedauer: 7 Min.

Ein Denkmal hat sich die in der zweiten Legislaturperiode amtierende Verteidigungsministerin von der Leyen auf jeden Fall gesetzt: Mit der Abteilung Cyber- und Informationsraum (CIR) im Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) und einem identisch benannten Kommando in Bonn wurde de facto eine neue »Teilstreitkraft« der Bundeswehr ins Leben gerufen, auch wenn dieser Begriff im deutschen Diskurs gerne gemieden wird. Mit einer Zielgröße von 15 000 militärischen und zivilen Dienstposten liegt die neue Teilstreitkraft im Umfang nur knapp hinter dem der Deutschen Marine.

Dabei handelte es sich in einem ersten Schritt vor allem um eine Umstrukturierung. Im Tagesbefehl vom 17. September 2015, mit dem ein Aufbaustab für das neue Kommando ins Leben gerufen wurde, schrieb von der Leyen: »Die Bundeswehr hat bereits gute Fähigkeiten im Cyber-Raum und in der Informationstechnologie (IT) - diese sind aber organisatorisch verstreut.« Die etwa 13 700 Dienstposten, die dem neuen Kommando zum 30. Juni 2017 unterstellt wurden, setzten sich fast ausschließlich aus den bereits bestehenden Truppengattungen Fernmeldetruppen, elektronische Kampfführung(EloKa), Geoinformationswesen und Operative Kommunikation zusammen. Entsprechend wurden dem Kommando etwa 5500 Dienstposten aus dem Bereich Militärisches Nachrichtenwesen, 5500 aus der IT-Cybersecurity, 650 vom Zentrum für Geoinformationswesen der Bundeswehr und 850 Dienstposten für Operative Kommunikation zugeordnet. Das Kommando selbst besteht zunächst aus 260 Dienstposten, bis spätestens 2023 sollen es jedoch 700 bis 800 werden.

Der Autor

Christoph Marischka, Jahrgang 1979, ist Politikwissenschaftler und gehört dem Vorstand der Informationsstelle Militarisierung an. Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind u. a. die Forschungs- und Technologiepolitik der Bundeswehr. Der hier dokumentierte Text ist die gekürzte Fassung eines Beitrags, den Marischka für die jüngste Ausgabe der Zeitschrift »W & F. Wissenschaft und Frieden« verfasst hat. Das Heft enthält u. a. einen Themenschwerpunkt »Kriegsführung 4.0«, in dem verschiedene Aspekte der Nutzung von Hochtechnologien für militärische Zwecke untersucht werden. Herausgegeben wird die Publikation von mehreren friedenspolitischen Initiativen. Zum Weiterlesen: wissenschaft-und-frieden.de/

Eine Besonderheit des Organisationsbereiches CIR besteht darin, dass der entsprechenden Abteilung im BMVg (nicht aber dem Kommando CIR) auch die unternehmerische Steuerung der BWI GmbH mit 3500 bis 4000 Mitarbeiter*innen obliegt. Die BWI GmbH wurde 2006 von der Bundeswehr gemeinsam mit den Firmen Siemens und IBM gegründet und führte als Öffentlich-Private Partnerschaft die Modernisierung und Vereinheitlichung der »nicht-militärischen« Informationstechnologie der Bundeswehr durch. Seit 2016 befindet sie sich im alleinigen Besitz des Bundes und ist für den Betrieb der »weißen« (»nicht-militärischen« in Abgrenzung zur »grünen«) IT der Bundeswehr zuständig. Laut Wikipedia betreut sie bundesweit rund 1200 Liegenschaften der Bundeswehr und betreibt u.a. drei zentrale Rechenzentren und 25 Servicecenter.

An etwa 90 Standorten der Bundeswehr ist die GmbH dauerhaft präsent, an zentralen Liegenschaften des Organisationsbereichs CIR sogar sehr umfangreich, in Rheinbach etwa mit 200 Mitarbeiter*innen. »Eine Tendenz zur Hybridisierung der Verteidigung - im Verständnis zivil/militärisch« - ist für die Bundesregierung dennoch »nicht erkennbar«.

Dem Kommando CIR unterstehen das Kommando Informationstechnik, das Kommando Strategische Aufklärung sowie das Zentrum für Geoinformationswesen der Bundeswehr. Das Kommando Informationstechnik führt vor allem die recht gleichmäßig über die Bundesrepublik verteilten Informationstechnikbataillone, die für den Betrieb sicherer Kommunikationsverbindungen in Deutschland, in den Einsatzländern und zwischen den hiesigen Stäben und den Kräften im Einsatz zuständig sind (militärisch werden diese Aufgaben auch als »Führungsunterstützung« bezeichnet). Während die Kommunikation der Bundeswehr in der Vergangenheit überwiegend auf Kabel- und Richtfunknetzen basierte, haben mit der »Einsatzorientierung« wesentlich verwundbarere und angreifbarere Satellitenverbindungen an Bedeutung gewonnen.

Das Kommando Strategische Aufklärung umfasst wesentliche Komponenten des militärischen Nachrichtenwesens und weist einen klaren räumlichen Schwerpunkt südlich von Bonn auf. Der Standort des Kommandos befindet sich recht versteckt in einem Industriegebiet bei Gelsdorf, südlich des Autobahnkreuzes Meckenheim. Hier befand sich bis 2007 das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr - eine rein militärische Parallelstruktur zum BND -, das mit seinem Bekanntwerden aufgelöst bzw. in das Kommando Strategische Aufklärung umgewandelt wurde. Das Kommando führt u.a. die Bataillone für Elektronische Kampfführung. Diese haben die Aufgabe, gegnerische Kommunikationsnetze aufzuklären, abzuhören und zu stören.

Auch das Zentrum Cyberoperationen in Rheinbach untersteht dem Kommando Strategische Aufklärung und erfüllt auf der Ebene der Software ähnliche Funktionen wie die elektronische Kampfführung auf der Ebene der Hardware, stützt sich dabei jedoch stärker auf zivile Infrastruktur und Technologie. In Rheinbach befindet sich eine Einheit mit etwa 80 Kräften, die am ehesten dem Bild einer Hackertruppe entspricht und tatsächlich auch schon mit offensiven Cyber-Operationen beauftragt wurde - bekannt wurde ein Angriff auf das afghanische Mobilfunknetz zum Zwecke der Informationsgewinnung. Potenziell bestehen dort jedoch auch Kapazitäten und Fähigkeiten, um »gegnerische« IT-Systeme zu stören oder für Angriffe zu nutzen.

Auf den ersten Blick irritierend, wird auch das Zentrum für Operative Kommunikation in Mayen vom Kommando für Strategische Aufklärung geführt. Dessen Aufgaben bestehen in dem, was landläufig als »Propaganda« bezeichnet wird und von der Bundeswehr selbst in der Vergangenheit »Psychologische Kampfführung« genannt wurde. Zwar wird immer wieder behauptet, die gezielte Beeinflussung der öffentlichen Meinung mit wissenschaftlichen (oft aber auch sehr banalen) Methoden sei auf gegnerische Kräfte und die Bevölkerung in den Einsatzgebieten beschränkt, in der Praxis jedoch erweisen sich die Übergänge als fließend:

So gehört zur Operativen Kommunikation auch der Betrieb des eigens für die Truppe bestehenden »Radio Andernach« sowie des Fernsehsenders BwTV. Die Aufnahmen der Einsatzkameratrupps des Zentrums für Operative Kommunikation sind formal für die militärische Führungsebene bestimmt, finden in der Praxis jedoch - nach vorangegangener Freigabe - immer wieder ihren Weg in Publikationen des BMVg und auch in Produktionen öffentlicher und privater Sendeanstalten.

Das Zentrum für Geoinformationswesen in Euskirchen wiederum untersteht direkt dem Kommando CIR. Hier werden u.a. Satellitenaufnahmen aufbereitet und für die Führungs- und Einsatzkräften bereitgestellt. Die Bezeichnung der Einrichtung lässt eine historische Fixierung des Militärs auf Karten und die Abbildende Aufklärung vermuten, tatsächlich werden hier allerdings viele Daten verarbeitet, die aus anderen Quellen stammen. U.a. beschäftigt das Zentrum für Geoinformationswesen Ethnolog*innen, die zuvor als Interkulturelle Einsatzberater*innen oder im Rahmen der zivil-militärischen Zusammenarbeit im Ausland im Einsatz waren.

Ende August 2018 gab die Bundesregierung darüber hinaus die Gründung zweier Forschungsagenturen bekannt: einer »Agentur für Innovation in der Cybersicherheit« unter gemeinsamer Steuerung des Verteidigungs- und des Bundesinnenministeriums sowie eine »Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen«.

Eigene Forschungsprojekte im Bereich der Informationstechnik gab und gibt das BMVg u.a. am Deutsch-Französischen Forschungsinstitut Saint-Louis (ISL), dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und bei verschiedenen Fraunhofer-Instituten in Auftrag. Insbesondere bei den Fraunhofer-Instituten FHR und FKIE auf dem Wachtberg bei Bonn, die an das Netz der Bundeswehr angeschlossen sind und über eine »aktive Daten-Direkt-Verbindung« nach Euskirchen verfügen, die als »Anbindung des Fraunhofer-Instituts FKIE an die Simulations- und Testumgebung der Bundeswehr« dient.

Als besondere »Herausforderung« für den neuen Organisationsbereich galt von Anbeginn der Planung die Gewinnung und Ausbildung des geeigneten Personals. Als Ziel wurde ausgegeben, »Spitzenkräfte« bzw. die »klügsten Köpfe« zu gewinnen, was jedoch durch die starren Karrierestrukturen und Besoldungsstufen bei der Bundeswehr erschwert sei, da man mit den hohen Löhnen in der freien Wirtschaft schwer konkurrieren könne. Zur Ausbildung eigenen Personals wurde u.a. ein Studiengang »Cyber-Sicherheit« an der Universität der Bundeswehr in München mit elf neuen Professuren und mehreren Laboren in einem eigens errichteten Hochsicherheitsgebäude geschaffen, das ab 2018 jährlich 70 Absolvent*innen hervorbringen soll. Außerdem hat die Bundeswehr u.a. mit den Hochschulen Bremen und Bonn-Rhein-Sieg Kooperationsabkommen geschlossen, die in den jeweiligen Studiengängen (Frauenstudiengang Informatik bzw. Dualer Studiengang Informatik mit Schwerpunkt Informationssicherheit) ein Kontingent an Plätzen für die Bundeswehr reservieren.

Neben Aufträgen an Unternehmen und Startups wolle die Bundeswehr »die richtig harten Nerds, die sich in den Tiefen der Internet-Protokolle auskennen, mit Beraterverträgen an die Bundeswehr binden«. Die »Stars der Branche« sollten »nicht Soldat werden müssen, um für die Cybertruppe zu arbeiten«, so das ZDF Ende August 2018. Weiter heißt es in dem Bericht: »Ungefähr 8000 IT-Fachkräfte muss die Bundeswehr innerhalb der nächsten Zeit am freien Markt einkaufen.«

Während man bei den Richtfunknetzen der Bundeswehr womöglich noch von einer rein militärischen Kommunikationsinfrastruktur sprechen kann, stützt sich bereits die kabelgebundene Kommunikation der Bundeswehr überwiegend auf zivile Infrastruktur. Die »Verteidigung« der Kommunikationsstruktur der Bundeswehr lässt sich deshalb auch im Friedensfall nicht auf rein militärische Komponenten beschränken, sondern zielt zwangsläufig auf den gesamten »Cyberraum«.

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