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Das faule Python-Ei

Frank Westermann recherchierte die Nyos-Katastrophe von 1986

Der Prolog stimmt mit einer alten Geschichte ein, die man sich in Afrika erzählt. Die Kom hatten eines Tages, aus welchem Grund auch immer, ihre Bohnenfelder und Beete verlassen. Etwa auf der Flucht vor den Kameltreibern aus Darfur, die - wie es hieß - Frauen und Kinder rauben? Jedenfalls schnürten sie ihre Bündel, buckelten ihre Töpfe, Pfannen und Krüge mit Mais und Maniok und zogen gen Westen. »Auf der Ebene von Ndop, wo viele Raphiapalmen wachsen, trafen die Kom die Bamessi. Der Anführer des Bamessivolks hieß die Auswanderer überschwänglich willkommen und lud sie ein, in seinem Land zu wohnen. Wie viele Monde waren sie unterwegs gewesen? Keiner wusste es noch.« Eigentlich eine schöne Geschichte, die aktuell anmutet. Man wünschte sich ein solch Willkommen für Flüchtlinge heute hierzulande. Doch gemach.

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Frank Westermann: Das Tal des Todes. Eine Katastrophe und ihre Erfindung.
A. d. Niederl. v. Thomas Hauth und Verena Kiefer. Ch. Links, 328 S., geb. 22 €.

Frank Westermann verortet das auf eine wahre Begebenheit zurückgehende, später mythisch verbrämte Geschehen in das Jahr 1753. »Das Herz Afrikas war noch unversehrt, aber die Portugiesen, die Dänen und die Holländer nagten schon überall wie fleischfressende Fische an den Rändern des Kontinents. Die Sklavenjagd drang immer tiefer ins Land vor.« Das erste Jahrzehnt lebten Kom und Bamessi friedlich zusammen, bis letztere befürchteten, ihre Gäste würden von einer Minderheit zu einer Mehrheit in ihrer Gemeinschaft avancieren. Um dem entgegenzuwirken, ließ der Fon (Anführer) der Bamessi den Fon der Kom in seinen Palast kommen und unterbreitete diesem einen perfiden Plan. Beide sollten jeweils ein Gemeinschaftshaus bauen, in das sie die Männer ihres Volkes führen, um sodann die Türen zu schließen und die Brandfackel zu werfen. Gesagt, getan, Aus dem Gemeinschaftshaus der Bamessi drang kein Klagelaut, als es lichterloh brannte; die Männer waren durch eine Hintertür entschwunden. Der Fon der Kom erkannte, dass er betrogen worden war, schwor Rache und erhängte sich. Seine Körpersäfte bildeten eine Pfütze, die sich zu einem mächtigen See mauserte, der die Bamessi verschlang. Zu der Mär gehört noch ein Python und ein faules Ei, das platzt und tödliches Gift verströmt.

Was hat aber dies mit der Naturkatastrophe vom 25. August 1986 zu tun, über die Westermann jahrelang recherchierte? An einem Tag waren in einem abgelegenen Tal in Westkamerun 1200 Menschen ums Leben gekommen, die meisten im Schlaf gestorben. Die Agenturen berichteten, niemand hatte eine Erklärung für die plötzliche Tragödie. Toxikologen, Biologen, Geologen und Vulkanologen aus Großbritannien, den USA, der Schweiz, Neuseeland, Japan, Großbritannien, Israel, Italien und der Bundesrepublik machten sich auf den Weg nach Kamerun und entwickelten die verschiedensten, konträren Theorien. Es sei hier nicht verraten, was die Ursache des Massensterbens war. Das wäre, als wenn man Krimiliebhabern vorab enthüllt, wer der Mörder ist: der Butler oder der Gärtner.

Westermann ist neugierig geworden, als er für eine Radioreportage 1992 in Kamerun weilte und ihm unter anderem eine Gemüseverkäuferin von der Rache des Gottes Mawes und einem wandernden See berichtete. »Ich liebe Geschichten. Wahrhaftige und fantastische. Als Schriftsteller pflanze ich hin und wieder eine neue Geschichte in den Wald der bereits vorhandenen«, bekennt der Niederländer. Und: »Geht es um Lebensfragen, vertraut das Gros der Weltbevölkerung lieber auf Fiktion als auf Fakten.« Um beides geht es hier, um Gerüchte und Realität, um spannende naturwissenschaftliche und große philosophische Fragen, um die Hybris des sich allmächtig dünkenden Menschen und seine tatsächliche Winzigkeit und Verletzlichkeit in der erhabenen Natur. Es geht um Rassismus und Kolonialismus, um das Expansionsstreben großer transnationaler Konzerne und ihre unerbittliche Konkurrenz untereinander, um Korruption und Kriminalität und um Verschwörungstheorien, die vielleicht ein Körnchen Wahrheit beinhalten. Der Autor zitiert ein Flugblatt, auf dem die Nyos-Katastrophe als ein menschengemachtes Phänomen angeprangert wird, worauf in Kamerun Strafe wegen Aufwiegelei droht. Zum 25. Jahrestag der Katastrophe wurde der Opfer staatlicherseits nicht gedacht.

Frank Westermann, als Entwicklungshelfer und freier Journalist weltweit unterwegs, hat ein wahrhaft spannendes Sachbuch verfasst.

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