Ihre Daten sind uns wichtig

  • Heiko Werning
  • Lesedauer: 3 Min.

»0,3 Liter Bier 1,50 Euro«, verspricht das Schild, und wo gibt es das schon noch, selbst im Berliner Wedding? Also beschließe ich einzukehren, ich bräuchte sowieso mal wieder einen ordentlichen Haarschnitt. Denn das günstige Angebot gilt für den Salon Olga, meinen Stammfriseur, den ich etwa einmal jährlich aufsuche, wenn die Matte zu sehr nervt. Olga kennt das schon, trotz unserer seltenen Treffen erinnert sie sich stets sofort an mich. Dann zieht sie aus den Tiefen ihrer Schubladen eine Karteikarte hervor, auf der sie die ursprüngliche Frisur vor der einjährigen Verwahrlosungsphase notiert hat, und schon geht es los. So jedenfalls war es bisher.

»Ich bräuchte bitte vor dem Haareschneiden eine Unterschrift von Ihnen«, teilt Olga mir heute mit. »Warum das denn?«, frage ich verblüfft. Ist das jetzt wie beim Arzt, wo man auch bei jedem noch so läppischen Eingriff immer unterschreiben muss, über alle irgendwie denkbaren Risiken und Nebenwirkungen aufgeklärt worden zu sein, ganz gleich ob man nur eine verdammte Spritze gegen Rückenschmerzen bekommen will oder eine Herztransplantation? Aber Olga zerstreut den Verdacht. »Damit Sie erlauben, dass wir aufschreiben Angaben zu Ihre Person. Ihre Namen, Ihre Frisur.«

»Aber das haben Sie bei mir doch längst«, erinnere ich sie. »Ja, aber jetzt brauchen wir schriftlich von Ihnen, dass wir dürfen. Is neue Gesetz!«

»Die Datenschutzgrundverordnung?«

»Genau, muss alles korrekt sein! Wir haben Karteikarten alle weggeworfen. Konnten wir nicht nachweisen, dass wir durften. Personenbezogene Daten, verstehen Sie?«

»Aber es geht doch nur um einen Haarschnitt.«

»Ja, Haarschnitt ist persönliche Daten. Damals keine Unterschrift, damals nur so. Hier jetzt unterschreiben!«

Etwas misstrauisch betrachte ich die Blanko-Karteikarte, die ich jetzt unterschreiben soll. Ist das wirklich ein Fortschritt im Datenschutz, dass man jetzt leere Zettel unterschreiben muss, auf denen dann die Friseurin meine Frisur festhält, vielleicht aber auch meinen letzten Willen oder einen Kreditvertrag?

»Ist das denn nicht etwas übertrieben?«, frage ich daher. »Nein, is Datenschutz. Is wichtig. Gerade wir müssen Vorbild sein!« Gerade sie, der Friseursalon Olga, muss Vorbild sein für den Datenschutz? Ich kichere in mich hinein. Aber dann kann ich ja bedenkenlos ein Bier bestellen, jetzt um zehn Uhr morgens. Niemand wird je davon erfahren, dank der neuen Datenschutzgrundverordnung und des Vorbildcharakters von Olga und ihrem Friseursalon.

Ich lasse mir das Bier also schmecken, während ich warte, weil Olga noch mit einem anderen Kunden beschäftigt ist. »Geht gleich los«, ruft sie mir zu, als sie nach einer Viertelstunde mit ihm fertig ist, »Wolln Sie noch zweites Bierchen, Herr Werning? So wie immer?« Ja, doch, denke ich. Ist schon gut, dass diese Dame sich dem Datenschutz so außerordentlich gewissenhaft verpflichtet hat. Dann bestelle ich noch ein Bier, bevor es mir an die Matte geht.

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