Ausnahme als Regelfall

In Kassel regt sich Protest gegen befristete Jobs im Mittelbau.

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Befristung von Arbeitsverträgen ist in Deutschland grundsätzlich nur dann erlaubt, wenn sie einen »sachlichen Grund« hat - wenn es beispielsweise um projektbezogene Arbeit geht, wenn Übergangsverträge vorliegen oder Vertretungen besetzt werden müssen. An den Universitäten wird diese arbeitsrechtliche Ausnahme jedoch zur Regel.

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz besagt, dass wissenschaftlich Beschäftigte der Unis sechs Jahre vor und sechs Jahre nach dem Abschluss einer Promotion befristet beschäftigt werden dürfen; in der Medizin sind es sogar neun Jahre. Zusätzlich zu dieser sogenannten Zwölf-Jahres-Regelung kann sich die Zeit, in der Befristungen möglich sind, um weitere zwei Jahre verlängern - etwa wenn ein Kind betreut werden muss oder eine schwerwiegende chronische Erkrankung vorliegt. Auch während des Studiums als wissenschaftliche Hilfskraft geleistete Arbeit wird nicht auf die Höchstbefristungsdauer angerechnet.

Besonders häufig befristet sind Stellen im sogenannten akademischen Mittelbau, also dem Hierarchiebereich zwischen Studienabschluss und einer Professur. Das betrifft einerseits wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, die nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes - nachzulesen im Kodex-Check der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) - im Bundesdurchschnitt zu 86 Prozent auf befristeten Stellen sitzen. Eine zweite Schwerpunktgruppe bilden die »Lehrkräfte für besondere Aufgaben« (LfbA), für die das bundesweit zu 54 Prozent gilt. Dabei lässt sich gerade von den LfbA-Stellen eigentlich kaum sagen, dass sie »projektbezogen« seien: Im Hochschulalltag sind sie vor allem der Vermittlung von Grundlagenkenntnissen und praktischer Fertigkeiten gewidmet - und dafür berüchtigt, kaum akademische Aufstiegsmöglichkeiten zu bieten.

Besonders ausgeprägt ist die Neigung zu Befristungen bei den LfbA mit 79 Prozent offensichtlich an der Uni Kassel. An der FU Berlin zum Beispiel sind es weit weniger, nämlich nur 12,5 Prozent. Zudem sind von allen unbefristeten hauptamtlichen Stellen der Uni Kassel nur 29 Prozent der Stelleninhaber*innen weiblich, an der FU Berlin sind es 41 Prozent. In einem Interview, das der Kasseler Uni-Präsident Reiner Finkeldey jüngst der »Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen« (HNA) gegeben hat, bezeichnete er Stellen, die zur Weiterqualifizierung der Mitarbeiter*innen vorgesehen sind, als »naturgemäß befristet« - was tatsächlich oft für die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen gelten mag, nicht aber für die LfbA-Jobs.

Hier setzt nun die Initiative »Uni Kassel Unbefristet« an. Ihr Ziel ist eine möglichst umfassende Entfristung der Stellen an der Uni Kassel. Während Finkeldey die Vielzahl befristeter Arbeitsverträge mit der Befristung der Mittel des Landes für die Uni rechtfertigt, sieht die Initiative die Uni in der Pflicht. Sie fordert die Entfristung aller LfbA-Stellen, die Beschränkung von Lehraufträgen und den Ausbau von regulären Stellen in der Lehre. Für zu Recht befristete Qualifikationsstellen fordert sie eine Arbeitszeitgestaltung, die tatsächlich genug Zeit für die Promotion lässt, was derzeit - nicht nur in Kassel - oft nicht der Fall ist. Perspektivisch fordert die Initiative Dauerstellen als wissenschaftliche Mitarbeiter*innen für Promovierte, sodass auch Personen, die keine Professur anstreben, eine Zukunft in der Wissenschaft offen steht. Zudem fordert sie planbare und langfristige Beschäftigungsoptionen sowie mehr Unterstützung für internationale Beschäftigte - und unbefristete Stellen in drittmittelfinanzierten Arbeitsbereichen. Darüber hinaus weist sie darauf hin, dass auch im technischen und administrativen Bereich, wo es fast immer um Daueraufgaben des laufenden Hochschulbetriebs geht, befristete Arbeitsverhältnisse bestünden, indem hier etwa studentische Hilfskräfte eingesetzt werden. Auch hier müssten Dauerstellen geschaffen werden. Zudem solle künftig ein »Befristungsbericht« die Beschäftigungsbedingungen aller Personalgruppen offenlegen.

Ein Viertel der Uni-Beschäftigten stimmte für eine außerordentliche Personalratssitzung zum Thema, die am 12. Dezember tagt. Sollte die Uni den Forderungen der Initiative substanziell entgegenkommen, wäre die Kasseler Uni bundesweit eine Ausnahme - von der man sich wünscht, sie würde zur Regel.

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