Ende einer Expedition

Wolfgang Hübner über die Absetzung der nd-Europakolumne von Martin Leidenfrost

An dieser Stelle, auf dem Samstags-Kolumnenplatz, geht seit Jahren der Autor Martin Leidenfrost auf »Expedition Europa«. Seine Beobachtungsgabe, sein Hang zum meist nur vermeintlich Abseitigen haben ihm eine beachtliche Fangemeinde beschert.

Leidenfrost ist freier Autor und publizierte schon in diversen Blättern in der Slowakei, in Österreich, der Schweiz. Er ist kein Linker; das erklärte er uns gleich, als er sich vor Jahren in der nd-Redaktion vorstellte und uns die Kolumne »Expedition Europa« vorschlug. »Ich werde auch Texte schreiben, die Ihnen wehtun«, sagte er damals. Das hat er gelegentlich wahr gemacht; es gab Kolumnen von ihm, an denen sich Diskussionen entzündeten.

In den letzten Wochen hat Martin Leidenfrost in der österreichischen Zeitung »Die Presse« zwei Kommentare veröffentlicht, die für Empörung sorgten. Der eine Text beschäftigt sich mit dem Thema Abtreibungen, der andere mit der Ehe für alle.

Der Kommentar zur Homo-Ehe hatte zahlreiche Beschwerden beim österreichischen Presserat zur Folge. In diesem Text bezeichnet er die Möglichkeit der Ehe für Schwule und Lesben als ein »Herzstück der herrschenden Ideologie«. »Wo Gläubige früher durch die Straßen zogen, um den Leib Christi zu verehren, beten sie jetzt in Latex gepresste Männerärsche an«, schreibt Leidenfrost. Die »Privilegierung einer im Westen wohlsituierten Minderheit« werde als Ehe für alle verkauft. Aus einer »lustigen Travestie« sei eine »todernste Staatsdoktrin« geworden. Ihn verstöre »die Willkür, mit der ausgerechnet den Homosexuellen das Los zugefallen ist, die Speerspitze in der Auflehnung des Menschen gegen seine Natur abzugeben«. Seine letzte Hoffnung ist die rechte ÖVP-FPÖ-Regierung, die nun Charakter zeigen müsse.

Das sind drastische Worte; die schwer erkämpfte Gleichberechtigung von Menschen, die sehr lange benachteiligt waren, wird als Privilegierung und widernatürliche Marotte einer zeitgeistigen Willkür abqualifiziert. Ähnlich verhält es sich mit dem Kommentar zur Abtreibung - dieses Recht der Frauen auf Selbstbestimmung ist für Leidenfrost der »finsterste Holzweg des Feminismus«.

Das sind Ansichten, die denen der nd-Redaktion diametral gegenüberstehen. Hätte Martin Leidenfrost solche Texte schon geschrieben, als er bei uns anklopfte, wäre es mit einiger Sicherheit gar nicht erst zu einer Autorenschaft gekommen. Es spielt keine Rolle, dass er derartige Positionen in seinen Kolumnen für »neues deutschland« nicht geäußert hat. Die mediale Welt in Zeiten des Internets ist klein. Und es ist ja auch gut so, dass man sich ein umfassendes Bild von Vorgängen und Personen machen kann. Das kann allerdings - und muss gelegentlich - Konsequenzen haben.

Martin Leidenfrost steht zu seinen Ansichten, wenngleich er sich dafür entschuldigte, Homosexuelle beleidigt zu haben. Er begründet seine Positionen mit seiner konservativen Grundhaltung und seinem katholischen Glauben. Allerdings: Auch Christen können zu Abtreibung und Ehe für alle ganz andere, deutlich liberalere Auffassungen haben. Sein Glauben und seine Meinung sind Martin Leidenfrost unbenommen; eine Zeitungsredaktion aber muss abwägen, was mit ihrem Verständnis von Toleranz vereinbar ist und wo Pluralismus in Beliebigkeit umschlägt.

Diese Linie sehen wir überschritten. Martin Leidenfrost vertritt in den erwähnten Kommentaren Positionen, die weit außerhalb des politischen Selbstverständnisses der nd-Redaktion liegen. So weit außerhalb, dass sie mit einer weiteren Autorenschaft im »neuen deutschland« nicht mehr vereinbar sind. Deshalb trennen sich unsere Wege. Das haben wir mit ihm diskutiert und ihm unsere Entscheidung mitgeteilt. Seine Kolumne »Expedition Europa« wird im »neuen deutschland« nicht mehr erscheinen.

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