Mit gewissen Auswirkungen

Laut Europas obersten Richtern verstößt die EZB mit ihren Anleihenkäufen nicht gegen ihr Mandat

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 5 Min.

Vor vier Jahren herrschte noch die Eurokrise in Europa vor. Ökonomen sorgten sich nicht nur um die Stabilität der Währungsunion. Auch machten die Preise nicht mehr das, was sie eigentlich tun sollen. Statt moderat zu steigen, fielen sie. Im Januar 2015 etwa gingen sie vor allem wegen der damals billigen Energie um 0,6 Prozent zurück. Die Angst vor einem Teufelskreislauf aus sinkenden Preisen und schrumpfender Wirtschaft machte damals die Runde.

Die Europäische Zentralbank (EZB) meinte, handeln zu müssen. Sie beschloss das Anleihenkaufprogramm APP, um die Inflationsrate auf knapp unter zwei Prozent zu heben. Das ist die offizielle Zielmarke der EZB, deren Aufgabe es ist, für stabile Preise, also eine moderate Inflation, zu sorgen. Seit März 2015 kauft sie nun im Rahmen von APP Staatsanleihen von Eurostaaten. Mittlerweile hat die Zentralbank derartige Papiere im Wert von insgesamt rund 2,5 Billionen Euro in ihren Büchern. Zu Hochzeiten kaufte sie monatlich Anleihen in Höhe von 80 Milliarden Euro. Derzeit sind es noch 15 Milliarden pro Monat. Zu Ende des Jahres soll das Programm eingestellt werden.

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Doch besonders unter konservativen Kreisen hierzulande ist das Kaufprogramm wie seine Vorgänger umstritten. Unter anderem der CSU-Politiker Peter Gauweiler und AfD-Gründer Bernd Lucke klagten gegen einen Bestandteil von APP, das sogenannte Public Sector Asset Purchase Programme (PSPP). Die EZB verleite «die Eurostaaten zu immer mehr Schulden und Derivate-Händler zu immer aberwitzigeren Spekulationen», schrieb Kläger Peter Gauweiler im März 2015 im «Münchner Merkur». Faktisch überschuldete Staaten sollten auf Kosten der Sparer entlastet werden, so Gauweiler weiter.

Am Dienstag entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH): Die Anleihenkäufe sind rechtens. Das PSPP-Programm verstoße nicht gegen das Verbot der monetären Finanzierung und nehme den Mitgliedstaaten «nicht den Anreiz, eine gesunde Haushaltspolitik zu verfolgen». Denn die EZB kaufe die Anleihen nicht direkt von den Staaten, sondern auf dem sogenannten Sekundärmarkt, also von Banken und anderen Finanzinstituten. Auch verstößt die EZB laut dem EuGH nicht gegen ihr Mandat, das auf Währungspolitik beschränkt ist.

Für Fabio De Masi kommt das Urteil nicht überraschend. Im Gegensatz zu den Klägern sieht der Finanzexperte und stellvertretende Vorsitzende der LINKE-Bundestagsfraktion das Problem nicht in den Anleihenkäufen, sondern, dass diese an Strukturreformen geknüpft sind, die die Wirtschaft abwürgen. «Damit kastriert die EZB ihre eigene Geldpolitik», so De Masi gegenüber «nd». Für ihn ist es deshalb wichtig, dass die Staaten investieren statt sparen. «Ansonsten wird das Geld der EZB nur in die Finanzmärkte gepumpt», so De Masi.

Die Klage gegen das PSPP-Programm wurde bereits vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt. Es sprächen «gewichtige Gründe» dafür, dass die dem Programm zugrundeliegenden Beschlüsse gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung verstoßen, urteilten Deutschlands oberste Richter im Juli 2017. Auch zweifelten sie damals an, dass die EZB mit den Anleihenkäufen nicht ihr Mandat überschreite. So würde die Zentralbank mit dieser Maßnahme vielleicht nicht mehr nur Währungs-, sondern auch Wirtschaftspolitik betreiben, mutmaßten die Karlsruher Richter damals. Doch entscheiden wollten sie letztlich nicht und gaben das Verfahren an den EuGH ab.

Es ist auch nicht das einzige EZB-Programm, das in Karlsruhe und Luxemburg verhandelt wurde. Bereits gegen das OMT-Programm kam es zu Klagen aus Deutschland. Die EZB beschloss es auf dem Höhepunkt der Eurokrise im September 2012. Zuvor hatte EZB-Chef Mario Draghi in einer mittlerweile berühmten Rede verkündet, er würde «alles Erforderliche tun, um den Euro zu erhalten». Im Juni 2015 entschied der EuGH, dass die EZB mit diesem Programm nicht gegen ihr Mandat verstoße, ein Jahr später schloss sich das Bundesverfassungsgericht diesem Urteil an. Doch im Gegensatz zum nun verhandelten APP-Programm kam OMT nie zum Einsatz, keine einzige Anleihe wurde in seinem Rahmen gekauft.

Nicht nur wegen des vorigen Urteils war bereits abzusehen, dass die EZB wieder Recht bekommen würde. Im Oktober kam EuGH-Generalanwalt Melchior Wathelet in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass die EZB mit dem Anleihenkaufprogramm ein währungspolitisches Ziel verfolge. Zwar sind solche Gutachten nicht bindend, doch meistens halten sich die Richter an sie. Der EuGH ging in seinem Urteil nun sogar ein Schritt weiter. Um Einfluss auf die Inflationsraten zu nehmen, müsse die EZB «zwangsläufig Maßnahmen ergreifen, die gewisse Auswirkungen auf die Realwirtschaft haben, die - zu anderen Zwecken - auch im Rahmen der Wirtschaftspolitik angestrebt werden könnten», teilte das EuGH zur Begründung seines Urteils mit. Würden der EZB jegliche Möglichkeit verwehrt, «wäre es ihr in der Praxis verboten, die Mittel anzuwenden», die ihr durch die EU-Verträge zur Erreichung der Ziele der Geldpolitik zur Verfügung gestellt sind«, so die Luxemburger Richter weiter. Dies könne insbesondere im Kontext einer Wirtschaftskrise »ein unüberwindbares Hindernis« für die Erfüllung ihrer Aufgabe darstellen.

Doch mit dem Urteil ist noch nicht das allerletzte Wort gesprochen. Nun muss sich wieder das Bundesverfassungsgericht mit der Verfassungsbeschwerde beschäftigten. Und das könnte einige Monate dauern.

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