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Stadt ohne Pestizide

Zossen soll auf Pflanzenschutzmittel verzichten und so Insekten retten.

Früher klebten nach längerer Autofahrt reichlich tote Insekten an der Frontscheibe. Heutzutage ist das nicht mehr so. Die Wissenschaft bestätigt, dass es teils fast 80 Prozent weniger Fluginsekten gibt als noch vor 35 Jahren.

»Diese Zahl hat viele Menschen beunruhigt«, sagt Carsten Preuß. »Es stellt sich nicht mehr die Frage, ob die Insektenwelt gefährdet ist, sondern wie das Insektensterben zu stoppen ist.« So steht mittlerweile etwa die Hälfte der in Deutschland vorkommenden 600 Wildbienen-Arten auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tiere.

Preuß ist Vorsitzender des brandenburgischen Bundes für Umwelt und Naturschutz. Er ist aber auch Linksfraktionschef in der Stadtverordnetenversammlung von Zossen (Teltow-Fläming). In dieser Funktion kann er praktisch etwas unternehmen und hat das jetzt auch getan.

Denn in vielen Städten und Gemeinden werden Pestizide eingesetzt, um Parks und Grünanlagen, Sportplätze und Spielplätze sowie Friedhöfe bequem von Unkraut freizuhalten. Doch das wird Bienen und Schmetterlingen zum Verhängnis. Entweder sterben die Tiere an der chemischen Keule, oder es wird ihnen der Lebensraum und damit die Nahrungsgrundlage entzogen, was ebenfalls zu ihrem Tod führt. Darüber hinaus stehen etliche Pflanzenschutzmittel im Verdacht, Krebs zu erregen.

Darum beantragte Carsten Preuß im Stadtparlament, dass Zossen ab sofort oder schrittweise auf kommunalen Flächen darauf verzichtet, chemisch-synthetische Pestizide einzusetzen. Wenn die Stadt Flächen verpachtet, soll vertraglich geregelt werden, dass der Pächter sich daran hält. Private Dienstleistungsunternehmen, die öffentliches Grün pflegen, sollen von den Pflanzenschutzmitteln die Finger lassen. Auch sollen Wiesen extra nicht gemäht werden, damit dort Blumen wachsen, aus deren Blüten die Bienen Nektar saugen können.

Selbstverständlich könne die Stadt den Eigenheimbesitzern und Kleingärtnern nicht verbieten, zugelassene Pflanzenschutzmittel zu verwenden, räumt Preuß ein. Den Bürgern soll aber nahegebracht werden, wie wichtig die Artenvielfalt ist und wie im Garten Gemüse ohne Gift gezogen werden kann. Am 12. Dezember wurde der Antrag des Linksfraktionschefs im Stadtparlament behandelt und zunächst einmal in die Ausschüsse überwiesen. Wegen der vielen positiven Reaktionen auf seine Bemühungen ist Preuß zuversichtlich, dass sein Vorstoß eine Mehrheit findet.

Ob es teurer wird, wenn Unkraut nicht mit der Chemiekeule ausgemerzt, sondern umständlich von Hand gejätet wird, vermag der engagierte Kommunalpolitiker nicht hundertprozentig vorherzusagen. Schließlich würde es auf der anderen Seite jedoch Geld sparen, wenn Blühwiesen angelegt werden und dort nicht gemäht wird. Unter Umständen könnte das Vorhaben unter dem Strich kostenneutral realisiert werden, denkt Preuß. Dafür wäre es aber erforderlich, dass die Bürger akzeptieren, wenn das Gras hoch wächst und nicht wie beim klassischen englischen Rasen kurz gehalten wird. »Eine Aufklärung der Öffentlichkeit ist dafür unbedingt notwendig«, sagt Preuß. Überzeugen könnte die Bürger, dass rund zwei Drittel der Pflanzen, die zur Ernährung der Menschheit dienen, darauf angewiesen sind, von Insekten bestäubt zu werden.

Zossen wäre als pestizidfreie Kommune keineswegs ein Einzelfall. Bisher haben sich in Deutschland rund 460 Städte und Gemeinden entschieden, ihre Grünflächen ganz ohne Pestizide zu bewirtschaften oder mindestens ohne das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat auszukommen. Einige tun dies bereits seit mehr als 20 Jahren. Doch noch immer werden in der Bundesrepublik über 40 000 Tonnen Pestizide pro Jahr ausgebracht und belasten die Umwelt. Die Tendenz ist sogar steigend.

In Brandenburg haben im laufenden Jahr die Städte Vetschau, Cottbus und Prenzlau entschlossen, pestizidfrei zu werden. »Siedlungsgebiete sind oft die letzten Rückzugsgebiete für bedrohte Arten, die in der Agrarlandschaft keinen Lebensraum mehr finden«, betont Preuß, der von Beruf Agraringenieur ist, die Wichtigkeit pestizidfreier Kommunen. Nach seiner Ansicht können sie hier Verantwortung und eine Vorreiterrolle übernehmen. Die intensive Landwirtschaft bietet die gewohnten Lebensräume nicht mehr, weil Monokulturen dominieren, die fleißig mit Pestiziden bespritzt werden, um die Hektarerträge zu steigern. In der vergangenen 100 Jahren konnten die Erträge verdoppelt werden. Das wurde durch die Züchtung spezieller Sorten, durch Dünger und Pflanzenschutzmittel erreicht. Doch flacht die Entwicklung ab. Große Fortschritte seien mit den herkömmlichen Mitteln kaum noch zu erzielen, erläutert Cornelia Weltzien, Professorin am Potsdamer Leibnitz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie.

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