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Deutschlehrer gegen »repressives Kursklima« für Flüchtlinge

Dozent*innen üben scharfe Kritik an neuen Auflagen des BAMF für Integrationskurse/ Selbst bei entschuldigtem Fehlen können Stunden gestrichen werden

  • Alina Leimbach
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie sind engagiert und spüren oftmals eine hohe Verantwortung: die Deutschlehrer*innen der Integrationskurse. Schließlich sind sie es, die Geflüchteten mit ihren Deutschstunden die wichtige Brücke zum Ankommen hierzulande bauen. Doch ihre Arbeit wird derzeit, so beklagen sie, durch strenge Auflagen aus dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) torpediert. In einem offenen Brief haben sich nun mehr als 100 Einzelpersonen, darunter Sprachlehrer*innen, Professor*innen und Organisationen an das für die Integration zuständige Bundesinnenministerium und das BAMF gewandt. Der bundesweite Aufruf wurde von den »Freien Dozent*innen Berlin« initiiert.

Unter dem Motto »Förderung statt Zwang in Integrationskursen« beklagen sie, dass Integrationskursträger seit August jegliche Fehlzeiten, egal ob entschuldigt, oder unentschuldigt, den Behörden melden müssen – auch dem Jobcenter. Wer mehr als zwanzig Prozent fehlt, egal ob mit oder ohne Krankenschein, verliert unter Umständen das Anrecht darauf, Kursstunden nachzuholen. »Die Zwangsmaßnahmen halten wir für kontraproduktiv und unhaltbar, da sie an der Realität der Teilnehmer*innen vorbeigehen und ein repressives Kursklima schaffen«, kritisieren die Freien Dozent*innen in ihrem Schreiben. Sie fordern die Rücknahme der neuen Maßnahmen.

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Gegenüber »nd« sagt Mitinitiatorin Katharina Hübner: »Das ist katastrophal. Die Integrationskurse sind mit derzeit nur 600 Stunden unserer Erfahrung nach ohnehin schon zu knapp bemessen.« Das Ziel B1-Niveau könne damit nicht flächendeckend erreicht werden. »Wenn dann auch noch Wiederholungsstunden gestrichen werden, torpediert das die Integrationsbemühungen«, so Hübner. B1 gilt laut dem gemeinsamen, europäischen Referenzrahmen für Sprachen als Niveau, mit dem sich Personen »einfach und zusammenhängend« über vertraute Themen und persönliche Interessengebiete äußern können.

Konservative Medien haben die Integrationskurse schon seit einiger Zeit im Fokus. »Jeder Zweite scheitert am Deutschtest«, meldete beispielsweise die FAZ im April plakativ. Nur 48 Prozent der Sprachtestteilnehmer erreichten demnach das Kursziel B1, weitere 40 Prozent würden nur Niveau A2 schaffen. Diese Meldung wurde daraufhin von vielen Medien, bis hin zu Tagesschau.de aufgegriffenen. Auch die »Welt« berichtete mehrfach über die Sprachkurse. Sie sah »erhebliche Kontrolllücken«, die unter anderem darauf zurückzuführen seien, dass Teilnahmeberechtigte sich ihren Kurs selbst aussuchen könnten. Teilnehmer würden so lange wechseln, bis ihnen ein Träger einen erfolgreichen Test ausstelle - auch ohne ausreichend Sprachkenntnisse. »Richtig falsch gelaufen«, so das Urteil der Welt zu den Kursen.

»Wir erleben Teilnehmer*innen motiviert und sehr interessiert«

Hübner und die freien Dozent*innen beschreiben ein anderes Bild der Lage. »Nicht berücksichtigt werden bei den angeblich hohen Zahlen der Nichtbesteher, dass auch die Teilnehmer*innen der Alphabetisierungskurse in die Statistik eingerechnet werden. Diese haben nur die Vorgabe A2 zu bestehen«, so Hübner. Auch bei der Sicht auf die Teilnehmenden geht ihre Wahnwahrnehmung stark von der der Kritiker*innen auseinander. In dem offenen Brief heißt es: »Wir erleben unser Teilnehmer*innen zum größten Teil motiviert und sehr interessiert daran, die deutsche Sprache zu erlernen.«

Die Geflüchteten müssten mit Deutsch ein ganz neues Schriftsystem lernen, das von ihrer eigenen Muttersprache oft sehr weit entfernt ist. Das bedeute sehr viel Arbeit und Übung. Dazu komme, dass die Teilnehmer*innen »nicht hauptsächlich junge, gesunde alleinstehende Menschen« seien, die ihren Alltag rein am Deutschkurs ausrichten können. »Viele haben Kinder oder sogar schon Enkelkinder und sind seit Längerem kein Schulumfeld mehr gewöhnt. Sie haben regelmäßige Behördentermine, viele sind auf Wohnungssuche, leben oft auf engsten Raum in Heimen, also an Orten ohne Ruhe zum Lernen«, so die Dozent*innen in dem Brief.

Zudem befürchten sie, dass bei Fehlzeiten im schlimmsten Fall sogar die Leistungen von den Jobcentern gekürzt werden - obwohl diese oft ihre Termine in die Kurszeit legten. »Die Regelungen dazu sind bislang nicht ausdefiniert, das könnte die Tür für willkürliche Entscheidungen öffnen«, warnt Hübner.

Die flüchtlingspolitische Sprecherin der LINKEN, Ulla Jelpke, reagiert gegenüber »nd« auf den Brief mit Kritik am BAMF: »Integration wird aber nicht durch Schikanen und Sanktionen erreicht, sondern durch individuelle Förderung, angemessen bezahlte Dozentinnen und Dozenten in ausreichender Zahl und ein freundliches Lernklima. Die neuen Maßnahmen des BAMF sind kontraproduktiv und müssen umgehend zurückgenommen werden.« Das für die Integration zuständige Innenministerium wollte auf »nd«-Anfrage kein Statement zu dem Brief abgeben.

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